Mäkelä Tomi

Saariaho, Sibelius und andere

Neue Helden des neuen Nordens. Die letzten 100 Jahre Musik und Bildung in Finnland

Verlag/Label: Olms, Hildesheim / Zürich / New York 2014
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/02 , Seite 95

Locker geschrieben und ohne Vorbild gibt sich diese Überblicks-Studie weder als «Musikgeschichte Finnlands» aus, noch nährt sie die Vorstellung, es gäbe einen eindeutig bestimmbaren «nordischen Ton» oder gar eine «typisch finnische» Musik. Vielmehr ging es dem Autor darum, die letzten hundert Jahre «Musik in Finnland» als schöpferische Leistung einzelner Persönlichkeiten vor dem Hintergrund nationalen Bildungsstrebens begreiflich zu machen. Wo­bei das «Wunderland Musik» ein paar aktuelle Blässeflecken abbekommt. Als «kapriziöse Fantasie» über Finnland und seine Kultur bietet das Buch deutschen Lesern einen Heimvorteil: Tomi Mäkelä, 1964 in Lahti geboren, promovierte bei Carl Dahlhaus in Berlin, habilitierte sich in Helsinki, lebt in Berlin, lehrt an der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg und publiziert überwiegend auf deutsch.
Um die Willkür der sowjetischen Grenzziehung zu verdeutlichen, lässt er einleitend das russisch-orthodoxe Kloster Walaam (finnisch Valamo) vor dem inneren Auge des Lesers erstehen. An der ehemals finnischen Seite des Ladoga-Sees auf einer Felseninsel gelegen, prägten sich seine Kuppeln, Ikonen und Mönchsgesänge dem Altmeister der finnischen Gegenwartsmusik, Einojuhani Rautavaara, unauslöschlich ein, als er es im Kindesalter mit seinen Eltern besuchte. Für Mäkelä gehören die Tradition Walaams und die russisch-orthodoxe Kirche «mit der ganzen Klangpracht ihrer Liturgie» untrennbar zur finnischen Kultur.
Bevor «die Geschichte in der musikalischen Gegenwart Finnlands» zur Sprache kommt, klärt er die historisch-politischen Fakten, haben sie doch Auswirkungen auf das kulturelle Klima des Landes. Über fünf Jahrhunderte gehörten große Teile des heutigen Finnland zu Schweden. 1809 fiel es ans Zarenreich, wenn auch mit den Sonderrechten eines Großherzogtums. 1917 reklamierte Finnland seine Unabhängigkeit.
Die Erörterungen gliedern sich in «Opernaspekte», Gegensatzpaare (Erik Bergman – Joonas Kokkonen, Einojuhani Rautavaara – Kalevi Aho, die weltläufigen «Helden» Kaija Saariaho und Magnus Lindberg), unbekannte Tonkünstler mit Zukunftsversprechen, «Rock-Regionen» und «Gespräche jenseits von Afrika», die der Autor mit dem Komponisten und Musikwissenschaftler Mikko Heiniö und dem Volksmusikexperten Heikki Laitinen führte.
Zu den spannendsten Kapiteln des Buches zählt die Gegenüberstellung «zweier Selbst»: Rautavaara im Spiegel seiner autobiografischen Schriften, deren Selbstbilder der Autor kritisch beäugt, und Kalevi Aho in seinem Verhältnis zur Natur und zu Jean Sibelius. Aho, den Mäkelä als «nach Rautavaara bedeutendsten finnischen Sinfoniker der Gegenwart und großen Kompositionsvirtuosen» würdigt, sieht Sibelius als Künstler, der zur Entfaltung seiner musikalischen Ideen etwas Programmatisches oder eine Stimmung benötigte, in die er sich hineinversetzen konnte. Eine Einschätzung, die einiges über Aho selbst aussagt. Dessen Interesse für Sibelius «als Tondichter des finnischen Waldes» ist für Mäkelä Anlass genug, Ahos Schaffen «abseits der Klischeebildung» nach entsprechenden Titeln und Inhalten zu durchforsten.
Lutz Lesle