Lachenmann, Helmut

Salut für Caudwell / Les Consolations / Concertini

Verlag/Label: 2 CDs, Kairos 0012652KAI
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/05 , Seite 91

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

 

Andersens Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern hat es Helmut Lachenmann angetan. Seine auf diesem Sujet basierende «Musik mit Bildern» von 1997 fand als neue Form des Musiktheaters breite öffentliche Resonanz. Doch Andersens Erzählung vom verarmt und einsam sterbenden Mädchen hatte den Komponisten schon vorher beschäftigt. Sie bildet den sprachlich-gedanklichen Rahmen der 1977/78 entstandenen Les Consolations.
Das Werk erweist sich in der vorliegenden Einspielung aus dem Jahre 2005 als typisch für Lachenmanns damaliges Komponieren, das weniger den Klang als seine Erzeugung in den Mittelpunkt stellt und das gesprochene Wort in Partikel zer­legt. Faszinierend ist es, wie er gerade durch das entstehende Gewirr von Lauten und Geräuschen der Eindruck des Frostigen und der ausweglosen Verlorenheit hervorruft. Eingebettet in den Rahmen dieses eher trostlosen als die verheißene «Consolation» bietenden Märchens sind zwei bereits zehn Jahre zuvor entstan­dene Chor-Orchester-Stücke nach Ernst Tollers Masse Mensch und dem «Wessobrunner Gebet», in denen zwischen abgerissenen Wort- und Klanggesten vereinzelt auch der weit ausschwingende Gesangston zu seinem Recht kommt.
Etwa zeitgleich mit Les Consolations entstand Salut for Caudwell, geschrieben für die beiden Gitarris­ten Wilhelm Bruck und Theodor Ross. Klangaskese, geradezu Klangverwei­gerung betreibt Lachenmann hier, wenn die angespielten Töne über ihren Ansatz hinaus nicht voll zu sich kommen dürfen: Antwort der Kunst auf eine «weithin sprachlose Gesellschaft, die durch Raubbau der Medien […] ihr differenziertestes Verständigungsmittel untauglich gemacht hat». Eigenwillig ist die Idee des Komponisten, in dieses freiwil­lige Verstummen gegenläufig wieder Worte einzublenden: ein wenn auch nur stammelnd ertönendes Plädoyer für eine freie, sich ihrer gesellschaftlichen Verankerung bewussten Kunst des marxistischen Dichters und Schrift­stellers Christopher Caudwell.
Verbindlicher in der Tonsprache geben sich die Concertini von 2005, die in ihren kammermusikalischen Interaktionen auch fülligere Klänge entwickeln. Als stilistische Wende will Lachenmann das stärker hervortretende Sinnliche in seiner jüngeren Musik allerdings nicht verstanden wissen, sondern als konsequente Ent­wicklung: «Mein kompositorisches Denkmodell aus den Sechziger Jahren, jene Idee einer ‹musique concrète instrumentale›, die den energetischen Aspekt des hervorgebrachten Klangereignisses […] thematisiert, durfte sich […] nicht auf die Verfremdung des Instrumentalklangs beschränken. Es hat sich von Anfang an gewandelt und geöffnet, und nicht bloß ‹Ge­räusch­haftes› und Verfremdetes, sondern ebenso das […] Vertraute, im weitesten Sinn ‹Konsonante› in den Griff genommen.»

Gerhard Dietel