Salzburg Biennale. Festival for New Music 2009
Werke von Mauricio Sotelo, Steve Reich, Toshio Hosokawa, Anton Webern, Helmut Lachenmann, Klaus Huber; traditionelle japanische und balinesische Musik sowie spanischer Flamenco-Gesang | Bild: 16:9, Ton: Dolby Digital Stereo | 263 min
Die Filmdokumentation von der Salzburger Biennale 2009 enthält auf zweimal zwei DVDs der Inhalt ist entgegen der heute üblichen Praxis doppelt vorhanden, einmal in der NTSC- und einmal in der PAL-Bildschirmnorm einen Querschnitt durch das Biennale-Programm mit über vier Stunden Musik. Sie beschränkt sich auf Werke bis zur Ensemblegröße; Orchesteraufnahmen sind, vermutlich wegen der hohen Lizenzkosten, nicht dabei. Besonders anregend sind die Tracks mit Ethnomusik aus Indonesien, Japan und Spanien, die damals Teil der Festival-Dramaturgie war. Die uhrwerkhafte Präzision, mit der die über zwanzig Mann starke Gamelangruppe musiziert, lohnt sich nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, ebenso der Flamencosänger, der improvisatorische Lockerheit mit höchster geistiger Präsenz verbindet.
In Toshio Hosokawas Komposition In Ajimano für Stimme, Koto, Cello und Ensemble findet der Brückenschlag zwischen E-Musik und Ethno auf eindrucksvolle Weise statt; was auf der CD als tote Pause erscheint, offenbart im Film seinen Sinn durch die Körperbewegung der Koto-Spielerin, die das Weiterklingen des Tons in der Stille verdeutlicht. Und Mauricio Sotelo hat in seiner Komposition «Cripta. Música para Luigi Nono» mit dem Einbezug des Flamencosängers Arcángel etwas von dessen vitaler Intensität in seine eigene Musik hinübergerettet. Schade jedoch, dass die Aufzeichnung dieses Werks mehrfach unterbrochen wird durch Erklärungen des Dirigenten Beat Furrer. Damit ergibt sich ein schlechter Kompromiss zwischen Konzertmitschnitt und Feature. Das Werkganze wird zerstört, und für eine anspruchsvolle Dokumentation reichen diese Statements nicht. Die beziehungslos in die Musik eingefügten Interviewteile sind im Grunde genommen Lesetexte fürs Booklet oder Programmheft. Das Modell, das der Filmemacher Peider A. Defilla in seinen viertelstündigen «musica viva»-Kurzfeatures für das Bayerische Fernsehen entwickelt hat und das dort recht gut funktioniert, lässt sich nicht ohne Verlust auf längere Formen übertragen.
Als weniger problematisch erweist sich dieses Verfahren bei Klaus Hubers Komposition «Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Stiers» von 1992, dem ersten Werk, in dem sich Huber auf die arabische Musik einließ. Die Wiedergabe konzentriert sich bewusst auf kurze Ausschnitte, so dass sich aus der Kombination von Musik und Interview eine wenn auch einfach gestrickte, so doch stimmige Dokumentation ergibt.
Dass ein Konzertmitschnitt ohne Unterbrechungen auch fast eine Stunde lang auszuhalten ist, zeigt sich in der «Music for 18 Musicians» von Steve Reich. Was relativ zahm und nach Orientierung suchend beginnt, schaukelt sich mit der Zeit zu einem trancehaften Ensemblespiel hoch, das die Musik wie eine in Raum und Zeit sich drehende Klangskulptur erscheinen lässt. Das Österreichische Ensemble für Neue Musik musiziert hier zusammen mit den Londoner Synergy Vocals und der Via Nova Percussion Group zupackender als in «City Life», Steve Reichs klingendem Porträt der Stadt New York, das hier allzu zartfühlend vorgetragen wird.
Das Quatuor Diotima ist mit Webern und Hosokawa, das Stadler Quartett mit Sergey Malov als zweitem Bratschisten mit Klaus Hubers Streichquintett «Ecce Homines» zu hören und zu sehen. Der abrupte, mit einer überraschenden szenischen Aktion verknüpfte Bruch im letzten Drittel von Hubers Quintett wird durch das Bild nun nachvollziehbar gemacht; bei einer Audioaufnahme versteht der Hörer nicht richtig, was an dieser Stelle geschieht.
An solchen Momenten einer immanenten visuellen Dramatik sei es ein formaler Bruch, ein ungewöhnliches Instrumentarium mit entsprechenden Spielweisen, eine spezifische Raumanordnung oder die Konfrontation von Klang- und Notenbild sollte eine Visualisierung von Konzerten mit neuer Musik ansetzen und daraus ihre Bilddramaturgie ableiten. So kämen die spezifischen Werkqualitäten im audiovisuellen Medium mit der nötigen Tiefenschärfe zur Darstellung. Alles andere ist Surfen an der Oberfläche.
Solche Verfahren erfordern allerdings viel Vorbereitungszeit; das kostet wiederum Geld und ist in der Neue Musik-Szene offenbar nicht mehr zu leisten. Unter diesen Umständen sollte man von der Salzburger Dokumentation über das routinemäßige Abfilmen hinaus nicht allzu viel erwarten. Doch hat sie, trotz mancher Mängel, durchaus einen Informationswert. Das Bild liefert interessante Einsichten. Der Stereoton könnte jedoch besser sein und würde bei einer CD vermutlich als unbefriedigend empfunden. Im Flamenco-Gesang gibt es zum Beispiel unschöne Pegelkorrekturen, die den Musikgenuss beeinträchtigen.
Max Nyffeler