Rihm, Wolfgang / Béla Bartók

Schrift-Um-Schrift

Schrift-Um-Schrift for two pianos and two percussionists / Sonata for Two Pianos and Percussion (1937)

Verlag/Label: NEOS 11032
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Die ersten Sekunden von Wolfgang Rihms Schrift-Um-Schrift für zwei Klaviere und zwei Perkussionisten sind eine kaum hörbare Angelegenheit. Vorsichtig tasten sich die Instrumentalisten an die Partitur heran, setzen minimale Akzente, lassen Sounds behutsam ausklingen. Es ist eine Musik des Stillstands, die ab und an von scharfen Konturen durchbrochen wird, dissonanten Klavierclustern, die im Unisono mit glockenspielartigen Klangtupfern erklingen, von ihnen weich gebettet werden. Eine zermürbende Spannung liegt in der Luft, ein akustischer Nervenkitzel – jederzeit könnte ein Klangsturm ausbrechen. Doch er tut es nicht.
Rihms Stück ist eine Studie in Geduld, eine Komposition, in der jeder Ton an der richtigen Stelle sitzt, ein Stück, das die höchste Konzentration erfordert, nicht nur von den Spielern. Auch der Hörer muss genau hinhören, um zu erkennen, dass die zunächst sparsam gesetzten Instrumentalklänge langsam in Bewegung geraten, zu fließen beginnen, sich verdichten, dann wieder entschlackt werden, um sich anschließend erneut aneinander zu reiben. Nur am Ende erhöht der 1952 geborene Komponist die Ereignisdichte, Schlagwerk und Klavier sind unentwegt im Einsatz. Gongs grundieren grelle Klangtupfer, Becken durchschneiden Akkordstrukturen. Dann ruht die Musik wieder, ihr Nachhall verklingt langsam im Raum.
Diese Ereignisse scheinen spontan zu verlaufen, eine Struktur ist zunächst nicht zu erkennen. Das verwundert nicht, schließlich ist es bekannt, dass Wolfgang Rihm einer intuitiven Kompositionspraxis offen gegenübersteht, seine Stücke auch assoziativ formt.
Die Sonate des Ungarn Béla Bartók folgt einer anderen Programmatik. Die Auftragsarbeit für den Schweizer Millionär und Dirigenten Paul Sacher ist in drei Sätze gegliedert. Besonders der zweite Satz weiß zu begeistern. Geheimnisvoll beginnt er mit einem energischen Trommelwirbel, aus dem sich eine mysteriöse Klaviermelodie schält. Bartók versucht in diesem Abschnitt eine Nacht unter freiem Himmel in Szene zu setzen. Man spürt förmlich die hereinfallende Dunkelheit; die Musik wirkt unheimlich, allerdings nicht bedrohlich. Das Zusammenspiel der beiden Klaviere vermittelt ein Gefühl von Neugier – man möchte erfahren, welche Geheimnisse sich hinter den Schatten verbergen. Im Vergleich zu dem ersten und letzten Satz, die ein virtuoses Kompendium komplizierter Rhythmen und feuriger Instrumentaltechniken präsentieren so­wie Versatzstücke balkanischer Volksmusik verarbeiten, stellt dieser Abschnitt einen Ruhepol dar.
Verwunderlich ist lediglich die Gestaltung der CD. Auf dem Cover sind Chromosomenpaare zu sehen. Im Innenteil ist ein Verkaufsstand mit Münzen und Talismanen abgebildet. Der Bezug zur Musik erschließt sich dabei nicht. Vielleicht spielen die Chromosomen auf die doppelten Besetzungen an. In Anbetracht der hervorragenden Leistung der Instrumentalisten und der eindrucksvollen Klang­qualität sind solche gestalterischen Merkmale aber von geringer Bedeutung.

Raphael Smarzoch