Sens(e) Absence

Werke von Daniel Rothman und Ernst­albrecht Stiebler

Verlag/Label: CQB 1111
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 86

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 3
Gesamtwertung: 3

Mit ihrer eigenen CD-Reihe «qb» widmet sich das kanadische Quatuor Bozzini den divergierender Strömungen der neuen Musik. Nun stellt das Quartett mit der elften Produktion das wirkungsmächtige mikrotonale Komponieren vor, dessen Perspek­tiven nicht absehbar sind, aber ein Prob­lem berühren, das im «Diskurs der Zwischentöne» immer wieder untergeht: eine sprachliche Annäherung bleibt sehr vage. Von «aparten Schwebungen» ist oft die stereotype Rede, von einer Sogkraft oder einer leuchtenden Strahlkraft, die von mikrotonalen Akkorden ausgeht.
Vom «Makel der Sprache» bleiben auch die Werke von Ernstalbrecht Stiebler (Sehr langsam) und Daniel Rothman (Sense Absence) nicht unberührt. Beide eint die Konzentration auf lang gehaltene Liegeklänge, auf eine introspektive Klangerkundung, die kontinuierlich angelegt ist und dabei der organischen Klangverbindung besonderes Augenmerk schenkt. Für die Interpreten des Quatuor Bozzini bedeutet das eine ebenso große Herausforderung wie für den Hörer, der einer hoch abstrakten Klangwelt ausgeliefert ist und sich einhören muss in Geheimnisse, die sich erst nach einer Weile erschließen.
Stieblers dreißigminütiges Sehr langsam klingt eine Spur weltferner als Rothmans Sense Absence. Fast synthetisch steril wirkt die Behandlung des Streichquartetts. Trotz mancher Spreizklänge bleibt der Klang stets homogen-geschlossen. Die Dynamik bewegt sich fast ausschließlich im Zwischenbereich zwischen Piano und Mezzoforte; dazu passt die Bemerkung Stieblers, sein Werk sei in geringer Lautstärke zu hören. Ebenso wie Rothmans Komposition fördert (und fordert) Sehr langsam ein kontemplatives, ja meditatives Hören und überzeugt in seiner radikal auskomponierten Konzentration ebenso wie in seinem elegisch pulsierenden Fortschreiten.
Rothmans Sense Absence ist rauer. Zugleich kommt der typische Streichquartett-Klang hier mehr zur Geltung. Spannungsvolle, teils länger gehaltene Generalpausen treten immer wieder auf. Sie setzen Zäsuren, allerdings ohne Heterogenes zu trennen. Die organische Geschlossenheit entspricht einer Produktion, die ungehörte Schönheiten birgt, aber letztlich doch zu wenig Rätselhaftes. Etwas mehr an Ecken und Kanten vermisst man am Ende dann doch.

Torsten Möller