Tüür, Erkki-Sven

Seventh Symphony | Piano Concerto

Verlag/Label: ECM New Series 2341
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 82

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Dass Erkki-Sven Tüür seine musikalische Karriere in einer Rockband begann, mag man vielleicht aus seiner Vorliebe für expressive Klangarchitekturen heraushören. Gewissheit hat man spätestens, wenn man mit dem dritten und letzten Teil seines Piano Concerto auf vorliegender CD konfrontiert wird. Eine Partie des Klavierkonzerts klingt wie eine aus einer Rock-Performance extrahierte Momentaufnahme. Die begleitenden Streich- und Blasinstrumente verdichten sich zu einem furiosen Crescendo mit cineastischer Wirkung. Das Klavier spielt tiefe Klangcluster. Plötzlich setzt ein Trommelwirbel ein, der die akustische Verflechtungsarbeit zu durchbrechen beginnt. Ein letzter Schlag bringt alles zum Schweigen. In einem Rockkonzert würde nun der Applaus des Publikums einsetzen, hier ist es ein lang ausgehaltener Streicherton, über dem sich langsam eine geheimnisvolle Klaviermelodie auszubreiten beginnt.
Erkki-Sven Tüür musizierte tatsächlich in einer Rockband, die er 1979 gründete. Der Sound von «In Spe» wurde mit dem Stiletikett «Progressive Rock» versehen. Damit meint man für gewöhnlich eine Spielart der Rockmusik, die genrefremden Sounds offen gegenübersteht – eine Haltung, die sich auch in Tüürs Kompositions­stil bemerkbar macht. Erneut ist es der dritte Teil des Piano Concerto, der aus der Reihe fällt. Nach ca. dreißig Sekunden meint man sich mitten in einem Jazzkonzert zu befinden. Im Vergleich wirken die ersten zwei Teile des Concerto ein wenig blass und blutleer. Tüür versteht es auf handwerklicher Ebene nicht zu enttäuschen. Der Pianistin Laura Mikkola verlangt er virtuose Manöver ab, die von der Instrumentalistin mit Bravour gemeistert werden. Das Werk kränkelt allerdings an einer Klangsprache, die bereits aus vielen Kompositionen der neuen Musik bekannt ist. Mehr von den zum Abschluss anklingenden
stilistischen Versuchsanordnungen hätten die Komposition spannender und interessanter gemacht.
Seine 7. Sinfonie widmet Tüür dem Dalai Lama. Sie trägt den Titel Pietas – ein Wort, das im religiösen Kontext die Ehrung und Achtung Gottes bezeichnet. Spirituellen Halt sucht der Komponist in Zitaten von Siddhartha Gautama, Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa, die vom Chor des NDR gesungen werden. Auch ein Zitat von Jimi Hendrix ist mit dabei – Tüürs Rock-Vergangenheit lässt einmal mehr grüßen. Am eindrucksvollsten ist der vierte Abschnitt der Sinfonie. In zwanzig Minuten entfaltet der Estländer ein orchestrales Gewebe aus klanglichen Mutationen und Transformationen – ein organisches Netzwerk, das sich in permanenter Entwicklung befindet, dynamische Eruptionen, aber auch zarte, beinahe poetische Sounds beinhaltet. Wenn der Chor singt, schweigen allerdings die Instrumente. In diesen Momenten scheint die Zeit stehenzubleiben.

Raphael Smarzoch