Busch, Barbara (Hg.)

Sidney Corbett

Einblicke in sein kompositorisches Schaffen

Verlag/Label: BIS, Oldenburg 2011 | 348 Seiten, mit Abb.
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 93

Das vorweg: Sidney Corbett ist ein sympathischer Komponist. Dogmen und Ideologien sind dem 1960 in Chicago Geborenen ebenso fremd wie Scheuklappen. Weltoffenheit ist grundsätzlich eine guter Kunsthumus und, wie sich im Verlauf der Lektüre herausstellen soll, auch für Corbetts eigenes Schaffen. Nie konnte er der Versuchung erliegen, nur einem Stil gänzlich zu verfallen, der im schlechten Fall schon mal zur Masche verkommen kann.
Das Buch bietet reichlich biografische Hintergründe. Klar schält sich die amerikanische Prägung heraus. Als Jazzgitarrist steckte Corbett, wie Hubertus Dreyer betont, «knietief in der Jazzszene der 1970er Jahre und hat es später nie ganz verleugnet». Nach der prägenden Zeit in Los Angeles (1969-1978) folgte ein umtriebiges Leben: Nach San Diego hat es Corbett verschlagen, an die experimentierfreudige University of California, dann kamen unter anderem die Stationen New Haven, Hamburg, New York, Stuttgart und Mannheim. Einflussreich war auch der Unterricht bei György Ligeti an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater. Dessen bekannte Avantgardekritik der 1980er Jahre stieß bei Corbett auf Wohlwollen, zugleich bekam er erstmals eine kompositorische Strenge zu spüren. Unter dem Niveau von Beethovens Streichquartetten sollte bei Ligeti nichts in der Partitur stehen. Ein untrügliches Gespür für kompositorische Schwächen hatte der Lehrer. Seine Schüler bekamen es zu spüren.
Schwächen hat auch das von Barbara Busch herausgegebene Buch. Das Interview, das Busch mit Corbett führte, nimmt vieles von dem vorweg, was später in des Komponisten eigenen Texten auftaucht. Dass der Unterschied zwischen dem Gesprochenen und Geschriebenen nicht groß ist, liegt zum einen an solchen Themenüberschneidungen, zum anderen aber auch an Corbetts «solider Basisarbeit». Bei den Themen Avantgardekritik und Fortschrittsdenken – in der zweiten Jahrhunderthälfte ohnehin kaum übersehene Problemfelder – erfährt der Leser wenig Neues. Selbst wenn Corbett auf eigene Erfahrungen zurückgreifen kann (wie zum Beispiel in der Beschreibung der amerikanischen Kompositions­sze­ne), dringt er nicht sonderlich tief in die Materie ein. Kurz: Derjenige, der sich in der neueren Musikästhetik besser auskennt, wird nicht auf seine Kosten kommen.
Der Untertitel des Bandes Einblicke in sein kompositorisches Schaffen ist irreführend, denn Fragen zu einzelnen Werken oder auch zu angewandten Kompositionstechniken nehmen verhältnismäßig wenig Seiten in Anspruch. Fragwürdig ist der Abdruck des sich über 120 Seiten dehnenden Briefwechsels mit dem Schriftsteller Christoph Hein, der den Text zu Corbetts erfolgreicher Oper Noach lieferte, die 2001 am Bremer Theater zur Uraufführung kam. Zwar kommen im Verlauf des Schriftverkehrs diverse institutionelle Aspekte zum Tragen und im Sinne eines Arbeitstagebuchs auch Probleme konzeptioneller Natur. Einige Passagen jedoch sind arg kleinteilig und hätten ruhigen Gewissens dem Rotstift zum Opfer fallen können. Wer aber berechtigterweise den Zweck eines Buchporträts darin sieht, einen Künstler von seiner offen-persönlichen Seite zu erleben, der wird voll und ganz auf seine Kosten kommen – ungeachtet manch sich dehnender Passagen.

Torsten Möller