Hosokawa, Toshio

silent flowers

String Quartets

Verlag/Label: Wergo WER 6761 2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/06 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Etwas tritt aus dem Nichts, hebt unmerklich an und braucht geraume Zeit, um sich als Ton eines Streichinstruments erkennen zu geben. Doch einmal identifiziert, entzieht sich dieses höchst lebendige, wandelbare, flüchtige Gebilde auch schon wieder jeder Festlegung. Der Klang raut auf, wird geräuschhaft und fluktuiert irrlichternd durch Flageoletts und Tremoli, um plötzlich zu verhauchen und wieder neu anzuheben. Toshio Hosokawa begreift in Blos­soming das Werden und Vergehen der Klänge naturhaft wie das Sprießen, Knospen und Erblühen, Welken, Verblassen und Ersterben von Pflanzen. Zu einem üppigen Strauß gebunden präsentiert die neue CD sechs Werke des japanischen Komponisten für Streichquartett, von den frühen Urbildern (1980) des damals gerade 24-jährigen Studenten bis zu den jüngsten Quartettwerken Blossoming und Kalligraphie von 2007.
Die Einspielung der Werke durch das Arditti Quartet erstaunt im Fall des zarten Blossoming wegen der seelenvollen Feinsinnigkeit und zerbrechlichen, geradezu verhuschten Schattenhaftigkeit vieler Klänge. Die Interpreten scheinen die Art ihres kongenialen Spiels dem Zauber der japanischen Kirschblüte abgelauscht zu haben, die für die meisten Japaner und so auch für Hosokawa ein Sinnbild der Flüchtigkeit und Schönheit des Lebens ist. Bei Floral Fairy legen die Ardittis dagegen einen reelleren Zugriff an den Tag. Zu erleben sind hier wieder eben jene hochgespannte Energetik und nervöse Gestik, die insbesondere das Geigenspiel des Primarius Irvine Arditti auszeichnen und den Klang dieser Formation so unverwechselbar machen. Dass auch solch kraftvolle Gestaltung der Musik des zurückhaltenden Japaners angemessen ist, zeigt sich beim sechssätzigen Zyklus Kalligraphie. Toshio Hosokawa ließ sich hier erstmals explizit vom Akt des Zeichnens japanischer Schriftzeichen leiten, während sich viele andere seiner Werke eher indirekten Vergleichen mit dieser Kunstform verdanken. Analog zur rasch wechselnden Gestik, Geschwindigkeit, Druck- und Farbintensität des über Papier geführten Pinselhaars streichen die vier Musiker das Haar ihrer Bögen über die Instrumente.
Eine ähnliche Übertragung liegt Landscape I von 1992 zugrunde, mit dem Unterschied, dass dort die Topografie einer Landschaft mit all ihren Erhebungen, Senken und ihrer Vegetation entsprechende klangliche Linien, Ausschläge und Beruhigungen findet. Die erste Violine schlägt virtuose Kapriolen und schiebt sich damit wie eine sturmgepeitschte Zwergkiefer als bizarre Kontur vor das nebelverhangene japanische Meer weicher Liegeklänge. Pralle Knos­pen, leuchtende Farben, knisternde Stängel und im Sonnenschein tanzender Blütenstaub tönen allerorts auch durch Silent Flowers, wo alle Blüten zwar aus der Stille kommen und in dieser vergehen, selber aber umso beredter sind. Doch was sich über die kunstvoll gekräuselten Wellenlinien vom Kommen und Gehen der Tage und des Lebens durch die Blumen noch alles ausspricht, mag jeder Hörer selber ermessen.

Rainer Nonnenmann