Seiffarth, Carsten / Markus Steffens (Hg.)

singuhr – hoergalerie in parochial 1996-2006

sound art in berlin, mit DVD

Verlag/Label: Kehrer, Heidelberg 2010
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 93

Seit einigen Jahren hat der in Heidelberg ansässige Kehrer Verlag in sein Programm die Sparte «sound art» aufgenommen, ein Kunstgenre, das sich nur schwer dokumentieren lässt. In diesem Dilemma bewegt sich auch der jüngst in Deutsch und Englisch erschienene Band zum zehnjährigen Jubiläum der Berliner «singuhr – hoergalerie in parochial». Hinter diesem etwas sperrigen Namen verbirgt sich ein Klangkunstprojekt an einem sehr berlinischen Ort. In den architektonisch attraktiven Räumen der Parochialkirche – einem 700 Quadratmeter großen Zentralraum, dem Turm mit Turmsaal und Glockenraum – haben Carsten Seiffarth und Markus Steffens die «hoergalerie» aufgebaut und etabliert.
Zehn Jahre Klangkunst wollten die beiden Kuratoren dokumentieren, um «dazu beizutragen, aus einer anderen als einer bloß ästhetischen oder rein technischen Perspektive zu begreifen, was Klangkunst ist und welche Entwicklungen sie in den vergangenen Jahren genommen hat». Bewusst haben sie auf die sonst üblichen interpretierenden und ästhetisch reflektierenden Texte verzichtet und sich mit Leidenschaft auf die akribische Dokumentation der in den Jahren von 1996 bis 2006 von ihnen produzierten über siebzig Installationen in 51 Einzelausstellungen konzent­riert. Jedem Künst­ler, jedem Projekt sind mindestens zwei Seiten gewidmet. Über detaillierte Werkbeschreibungen, Informationen über die materiale wie technische Seite der Arbeiten, Schwarz-Weiß-Fotografien und fast immer auch den Abdruck von Skizzen generieren die Autoren (Carsten Seiffarth, Markus Steffens und Melanie Uerlings) eine dichte und vieldimensionale Darstellung dieser Kunst. Der Leser kann die Skizzen entsprechenden Fotos aus der opulenten Fotostrecke in Farbe gegenüberstellen. Das ermöglicht ihm, die jeweils unterschiedlichen Interpretationen des immergleichen Raums auch im Nachhinein, ohne dabei gewesen zu sein, nachzuvollziehen. Die Festivals und anderen Ereignisse, die die «singuhr» im Laufe der Jahre initiiert und veranstaltet hat, sind ebenfalls erfasst; ein biografisches Künstlerlexikon und eine DVD, die die Soundfiles der Installationen wiedergibt, runden das Ganze ab.
Auch wenn das Buch zuallererst eine Dokumentation ist, gehen seine Aussagen darüber hinaus: Allein die Liste der beteiligten Künstler untermauert unter anderem den Anspruch Berlins, eine Stadt der Klangkunst zu sein. Weiter rechtfertigt das Buch im Nachhinein die langjährige öffentliche Förderung: Nur so können scheinbar im Abseits des großen Kunstbetriebs befindliche Strö­mungen eine Chance zur Entwicklung bekommen. Und hinsichtlich des Umgangs mit dieser Kunst beziehen die Herausgeber klar Stellung: Aller Interpretation und ästhetischer Ausdeutung voraus geht die genaue Beobachtung und Erkundung des Phänomens. Nur mit Hilfe der Rückbesinnung auf die Phänomene selbst treten die unterschiedlichen Hand­schriften der Klangkunst und ihre Entwicklung deutlich hervor.
Wer also nicht nur einen Blick in die Werkstatt der Klangkunst, sondern auch in die ihrer Produktion und Vermittlung werfen will, ist mit diesem Buch bestens versorgt.

Barbara Barthelmes