Schoeck, Othmar

Sommernacht | Sonate für Bassklarinette und Orchester | Penthesilea-Suite | Besuch in Urach

Verlag/Label: Musiques Suisses MGB CD 6281
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 74

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3


So tief der schweizerische Komponist Othmar Schoeck (1886–1957) in Kunstanschauungen des 19. Jahrhunderts verwurzelt war, so wenig wird ihm der Ruf eines «letzten Romantikers» gerecht. Der Reger-Schüler verstand sich durchaus als «Moderner». Zwar hielt er am Ausdrucksprinzip fest und wahrte die Tonalität, die er aber immer weiter ausränderte. Sein Anspruch auf Modernität macht sich nicht zuletzt in der gewagten Harmonik seiner Oper Penthesilea (1923-25, revidiert 1927) und ihrem Verzicht auf formale Geschlossenheit geltend. Wogegen sich die dramatische Kantate Vom Fischer un syner Fru (nach dem plattdeutschen Märchen von Philipp Otto Runge) dem epischen Theater der 1920er Jahre nähert.
Neben den Opern gründet sich Schoecks früher Ruhm vor allem auf sein Liedschaffen. Das dichterische Wort blieb ihm zeitlebens primärer Schaffensimpuls. Seit den 1920er Jahren fasste er seine Lieder fast ausnahmslos in Zyklen zusammen – ein Indiz, dass er dem Geltungsverlust des Genres entgegenzuwirken suchte (wie Schönberg mit seinem George-Zyklus). Eine Ehrenrettung erster Klasse gelang Dietrich Fischer-Dieskau und Hartmut Höll 1986 mit ihrer Schallplattenaufnahme des Keller-Zyklus Unter Sternen.
Schoecks Orchesterwerke harren noch der Entdeckung. Diese Kenntnislücke sucht der Zürcher Migros-Genossenschaftsbund mit der vorliegenden CD zu schließen, beginnend mit Sommernacht, einem «pastoralen Intermezzo für Streichorchester». 1945 für die Bernische Musikgesellschaft komponiert, fußt die bildhafte Tondichtung en miniature auf Gottfried Kellers gleichnamigem Gedicht. Es erzählt von einem Brauch, den die Erfindung des Mähdreschers zunichte machte: nach dem großflächigen Ernteinsatz schnitten die Dorfburschen den Witwen oder Waisen, die sich keine Helfer leisten konnten, deren Getreide um Gottes Lohn.
Im Gegensatz zu Paul Hindemith oder Alban Berg destillierte Schoeck aus seinen Opern keine Orchestersuiten. Wie ansprechend eine Blütenlese der Oper Penthesilea hätte ausfallen können, zeigt Andreas Delfs (über den sich das Beiheft leider ausschweigt) in seiner Orchesterbearbeitung. Seine Kunst besteht darin, ariose Teile der Oper zu verknüpfen und öfter auch die Gesangsstimmen ins Orchester aufzunehmen.
Eine wertvolle Bereicherung der Holzbläser-Literatur ist Schoecks Sonate für Bassklarinette von 1928, deren Klavierpart Willy Honegger orchestrierte (auch ihm widmet das Booklet keine Zeile). Bernhard Röth­lisberger, Soloklarinettist des Berner Symphonieorchesters, ist ihr berufener Interpret. Im dritten Satz spielt der Komponist mit der absurden Charakterseite des Instruments, in­dem er schräge Ragtime-Elemente mit Jagdhornmotiven konterkariert.
Das Lied Besuch in Urach entstand 1948 für den Mörike-Zyklus Das holde Bescheiden: das einzige Klavierlied, das der Komponist selbst für Orchester einrichtete. Rachel Harnisch (Sopran) spürt der wehmütigen Erinnerung des Komponisten an seine jugendlichen Wanderungen durchs Schwabenland nach.
Lutz Lesle