Hindemith, Paul

Sonatas for …

Verlag/Label: Harmonia Mundi HMC 905271
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 77

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 4

Booklet: 3

 
In zwei Schaffensschüben komponierte Paul Hindemith mehr als dreißig Sonaten für die verschiedensten Instrumente, vornehmlich für Bläser. Als er im Sommer 1935 an der Violinsonate schrieb, sah er sich im nationalsozialistischen Deutschland bereits dem Vorwurf des «Musikbolschewismus» ausgesetzt. Ein Jahr später kam das Aufführungsverbot. In der Folge versiegte auch seine Konzerttätigkeit. 
Der Komponist nutzte die Zeit der Bedrängnis, um sich mit musiktheoretischen Fragen auseinanderzusetzen. Seine Unterweisung im Tonsatz liest sich wie eine Handwerkslehre seiner Sonaten für Melodieinstru­men­te und Klavier. Deren immanente Dreistimmigkeit entspringt der Überzeugung des Komponisten, das menschliche Gehör könne höchs­tens drei Stimmen unterscheiden. Ihr harmonisches Gefälle lebt aus der Spannung zwischen Konsonanz und Dissonanz. 
Während seine Satztechnik in gewissem Grade standardisiert erscheint, handhabt Hindemith die Form seiner Sonaten umso freier. So beschränkt sich die Sonate in E für Geige und Klavier auf zwei Sätze. Einvernehmlich stellen Isabelle Faust und ihr angestammter Klavierpartner Alexander Melnikov die satzübergreifenden rhythmisch-melodischen Analogien heraus. Wie Hindemiths Lust zu musizieren und sein Drang, Musizierlust zu wecken, Tonfall und Formenspiel seiner Mu­sik bestimmen – das zeigen Violine und Klavier exemplarisch im zweiten Satz, der nach einer langsamen Einleitung in einen Springtanz verfällt.
Glücklicherweise steht allen Solisten dieselbe «Begleiterscheinung» zu Gebote. Alexander Melnikov ist nicht nur ein gefragter Konzertsolist, sondern auch ein Kammermusiker von hohen Graden. Nie würde es ihm in den Sinn kommen, sich zur Unzeit in Szene zu setzen. Entstammt er doch der hohen Schule des Moskauer Pianistenmachers Lev Naumov. 
Die Sonate für Violoncello und Klavier in drei Sätzen (1948) entspringt Hindemiths Freundschaft mit dem gleichfalls in die USA emigrierten Cellovirtuosen Gregor Piatigorsky. Im Gegensatz zu der eher stillvergnügten Violinsonate entfacht sie ein virtuoses Feuerwerk, das Alexander Rudin mit seinem Landsmann am Klavier brillant abfackelt. Im Scherzo verfolgen Violoncello und Klavier eine je eigene Thematik. 
«Du wirst Dich wundern, dass ich das ganze Blaszeug besonate», ließ Hindemith seinen Verleger Ende 1939 wissen. Drei dieser Bläsersonaten sind hier vertreten. Inhaltlich einem eigenen Gedicht folgend, gleicht die Sonate für Althorn und Klavier (1943) einem angeregten Dialog zwischen Hornist (Teunis van der Zwart) und Pianist. Außermusikalische Bezüge und spielerische Eigenheiten des Instruments verbinden sich auch in der Sonate für Trompete und Klavier (1939), deren kriegsbedingte Trauer- und Todesgedanken Jeroen Berwaerts, Solist des NDR Sinfonieorchesters, ohne Pathos nachvollzieht. Eine kurzweilige instrumentale Charakterkun­de, die ein Raufbold-Lied einschließt, liefert der Franzose Gérard Costes mit der Sonate für Posaune und Klavier – ein Fallbeispiel zum Thema «musi­kalische Ironie».
Lutz Lesle