Jama, Agnes
Sonatina for Piano (1942) / Three Songs for Voice and Piano (1953) / Suite for Violin and Piano (1952) / Sonata for Cello and Piano (1957) / Vocatio for Mezzo-soprano, Clarinet and Piano (1971)
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4
Nicht nur der Nationalsozialismus, auch die miefigen 1950er Jahre mussten überwunden werden, um Mahler nicht mehr als verspäteten Spät-Romantiker zu sehen und dass Janáceks Streichquartette ebenso zukunftsweisend sind wie die der zeitnah komponierten Zwölftöner, beginnt sich seit Steve Reichs Different Trains auch herumzusprechen
Insofern gibt es eine Chance, die hier vorgestellte Musik von Agnes Jama (1911-93) nicht nur als privates Dokument einer konventionell komponierenden Pianistin zu sehen.
Die in Dürnstein (Donau) geborene und in Den Haag gestorbene Tochter eines slowenischen Impressionisten und einer Holländerin komponiert zwar auf den ersten Blick wie eine Pianistin, die Rachmaninow und Ravel, Debussy und Bartók gespielt hat, aber bei genauerem Blick entgeht einem nicht der ganz eigene Drive der Musik, die pointiert gesetzten Schnitte und Brüche im Puls, die plötzlichen Beschleunigungen und die sehr zeichenhaften Idiome Elemente, die auch die Modernität von Janáceks Spätstil auszeichnen.
So greift gegenüber der 1942 entstandenen Sonatine nicht der Vorwurf eines gemäßigten Klassizismus mit impressionistischen und romantischen Ausflügen fair und vernünftig ist hier vielmehr, die slawischen Elemente, den Geist Janáceks und das Temperament der Musik hervorzuheben, das sich nicht nur im Gestus und im Figurativ-Filigranen Klaviersatz zeigt, sondern auch im formalen Konzept, insbesondere im Allegro-Satz.
Der herbe slawische Background der Musik teilt sich auch in den düster-versponnenen Three Songs (1953, Texte von Jil de la Rie) mit, wobei die holländische Sprache hier in eigenartiger Distanz zum östlichen Tonfall der Musik steht. Noch mehr berührt die Purheit, ja Nacktheit der Musik in der Vocatio von 1971, einer instrumental begleiteten Vokalise. Die Musik scheint hier von Olivier Messiaens Frühwerk beeinflusst und ähnlich komponiert wie Messiaens Vogelruf-Dramaturgien, nur mit dem Unterschied, dass es sich hier um das Rufen einer menschlichen Stimme handelt, naturalistisch und präzise in ihren nicht minder diffizil-konturierten und emotionalisierten Lauten.
Aber noch ein anderer Blickwinkel dürfte diese sehr eigene Musik ins rechte Licht setzen: Soesja Citroen, die Tochter der Komponistin, hat als Jazz-Sängerin und Komponistin selbst Karriere gemacht und fügt der vorliegenden CD als Hommage an ihre Mutter einen Song for Ma (1997) bei, ein äußerst pur-intimes wie durchaus universelles Stück Musik; übrigens ist auch Marcel Worms, dem vor allem das hohe interpretatorische Niveau der CD zu verdanken ist, ein vielseitiger Jazz-Pianist.
Hans-Christian von Dadelsen