Brass, Nikolaus
songlines für Solo Streicher
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
Hätte die Phrase nichts Bieder-Konservatives an sich, so käme man in Versuchung zu schreiben, dass in den songlines für Solo-Streicher (2006/07) nirgends «gegen das Instrument» komponiert wird. Aber es geht zum Glück auch anders: Nikolaus Brass Musik hat nichts Zwanghaftes, ihre Stärke ist ihre Selbstverständlichkeit. Kantilenen aus seiner Feder kommen stets wie aus einem Guss. Das ruhige Kreisen um einzelne Intervalle könnte sich ins Endlose ziehen. Und dann wäre da noch diese organische Geschlossenheit des gesamten Werks; auch oft mit negativem Beigeschmack interpretiert, bei Brass aber in atemberaubender Vollendung zu hören.
Vier Sätze umfassen die songlines. Eingerahmt sind sie von einem Prolog und einem Epilog, einmal unterbrochen von einer «intermission» für Viola solo. Meist nach innen gewendet ist der Gestus der etwa zwölfminütigen Sätze. Einer Meditation in höchsten Registern gleicht «songlines I» für Violine. Ausgefeilt sind die mehrstimmigen Akkorde, durchsetzt mit Glissandi auf engem Raum. Vorbereitet durch die entspannte «intermission» erreicht Brass in den zentralen «songlines III» für Viola eine Kunsthöhe, die sich messen lassen kann mit den Hauptwerken der Viola-Literatur, etwa mit Pierluigi Billones ITI KE MI (1995). Vergleichsweise weniger radikal, aber zugleich flexibler zeigt sich Brass. Gläsern fragile Flageolett-Passagen gehen bruchlos über in ausgefeilte, ordinario gespielte Mehrstimmigkeit, dann wieder folgen flächige Episoden, manchmal mit brüchiger Tongebung im Forte, dann wieder mit feinst dosiertem Bogendruck.
Ohne den spezialisierten Interpreten kommen die songlines nicht aus. Mit Helge Slaatto (Violine), Klaus-Peter Werani (Viola), Erik Borgir (Cello) und Frank Reinecke (Kontrabass) kann sich Brass glücklich schätzen. Aufopferungsvoll müssen sich die Herren vorbereitet haben, allein instrumentale Fähigkeiten erklären die besondere Intimität der Aufnahmen nicht. An dieser haben auch die Techniker und der Produzent Helmut Rohm aus dem Hause des Bayerischen Rundfunks ihren Anteil: Stimmig ist die Mikrofonierung; zwischen aufdringlicher Nähe und Distanz ist genau das richtige Maß gefunden. Subjektive Kommentare der Interpreten runden im Booklet eine furiose Produktion ab. «Eine entrückte Musik, sehnsüchtig, intim, feinnervig, sich selbst leise zusingend», beschreibt der Cellist Erik Borgir seine Eindrücke. Kaum etwas ist hinzuzufügen. Nur noch: Höchstnoten.
Torsten Möller