Monk, Meredith

Songs of Ascension

Verlag/Label: ECM 2154
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/04 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Der von Ann Hamilton auf der Oliver Ranch in Geyserville/Kalifornien erbaute Turm, der sich über acht Etagen mit einem spiralförmig in Doppel­helix-Ausführung eingerichteten Treppenhaus emporschraubt, inspirierte auch die Komponistin Pauline Oliveros zu einer Klangarbeit, die die Turmmauern als Resonanzkörper nutzte: Tower Ring. Innerhalb des Turms begegnen sich Publikum und Akteure jeweils auf eigenen Treppen. 2009 bespielte das Kronos Quartet den Turm mit Purnati, einer Auftragsarbeit von Rahayu Supanggah.
Meredith Monk verfiel der Faszination dieses ungewöhnlichen Klang-Architektur-Körpers mit seinen überraschenden Soundeigenschaften bereits im Jahr 2008, als sie das 21 Stücke umfassende neue Werk Songs of Ascension komponierte. Wie auf einem akustischen Pilgerweg, der von Psalmen und kammermusikalischen Strukturen gesäumt ist, erzählt sie in vokal und instrumental präsentierten Liedern vom Aufstieg auf den Turm, seinen Klangeigenschaften und von der veränderlichen Natur im Verlauf der Jahreszeiten. Inspiriert wurde Meredith Monk von den Psalmen, die der amerikanische Poet und Zen-Autor Norman Fischer übersetzt hat.
Die einzelnen Stationen dieses Pilgerwegs nahm Meredith Monk 2009 in der Academy of Arts and Letters in New York auf, wo es ihr gelang, die akustische Atmosphäre im Turm in der elektrotechnischen Atmosphäre eines Studios zu simulieren. Nur mittels der menschlichen Stimme erkundet Meredith Monk den Resonanzraum und die Resonanzfähigkeit des (imaginären) Turms, reiht kurze Momente der Ruhe aneinander, verbindet die einzelnen Positionen mit den Perkussionsritualen von John Hollenbeck (Mapping) oder reflektiert den sirenenhaften Gesang der Vokalensembles durch Streichquartettmusik (Traces).
128 Stufen führen in beiden Treppenhäusern an die Spitze des etwa 26 Meter hohen Turms; eine Verbindung beider Strecken ist ausgeschlossen. Ähnlich wie in M. C. Eschers irreführenden Zeichnungen begleitet Meredith Monk auch imaginäre Besteigungen des Turms durch spiralförmige, aufsteigende Klänge, die der durchaus konkreten Gefahr widerstehen, in beliebige Windungen auflösende Klangpartikel zu entgleiten. Wie Vogelstimmen wirken manche Kehllaute, die, als Lockrufe getarnt, vielmehr mit einem Sirenengesang in gefährliche Höhen entführen. Doch das Wechselspiel zwischen vokaler Ent-/Verführung und instrumental geprägter Beruhigung ist zu stark, als das es den Sirenen gelingen würde, Fehltritte zu provozieren. Das Bild der (Turm-)Besteigung, dieses aufwärts strebende Klanggeschehen, zeigt sich als die stärkste Kraft der Kompositionen, eingebettet in mehrfarbige Soundcollagen und kleine Episoden, die in musikerzählerischer Form frühere Klangarbeiten von Meredith Monk variieren.
Klaus Hübner