Sound Art @ Het Apollohuis

2 CDs

Verlag/Label: ZKM milestones / Wergo WER 20692
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/05 , Seite 80

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Der weitsichtige Paul Panhuysen, Multimediakünstler, Akademiedirektor und Museumskurator in diversen holländischen Städten, darf als Glücksfall für die internationale Klangkunst bezeichnet werden. Panhuysen war neben seiner künstlerischen Arbeit insofern weitsichtig, als er bereits 1980 einen wirtschaftlich aufgegebenen Industriebau in Eindhoven vor dem möglichen Verfall bewahrte. Damals war das Bekenntnis zur Industriekultur und zum Erhalt nicht mehr benötigter Gebäude noch kaum ausgeprägt. Panhuysen und seine Frau Hélène übernahmen das Bauwerk in der Tongelresestraat, das anfangs als Zigarrenfabrik und danach über zwanzig Jahre als Parfümgroßhandel («Apollo Parfumerie») genutzt worden war, und gründeten darin «Het Apollohuis», eine international geschätzte Plattform für Klangkunst. Dort veranstalteten sie Performances, Vorträge und Konzerte, die außerhalb des traditionellen Konzertbetriebs als Treff- und Kristallisationspunkt der Akustischen Kunst von großer Bedeutung waren. Doch die Verwaltung der Stadt bereitete dem Veranstaltungsort 1997 das Ende – es wurde für die öffentliche Nutzung geschlossen, endlose Verhandlungen hatten keinen Erfolg, 2001 stellte Panhuysen den Namen «Het Apollohuis» ein.
2009 übernahm das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe das umfangreiche Archiv und veröffentlicht daraus mit der vorliegenden Edition bisher unveröffentlichte Konzert- und Performanceausschnitte wichtiger Künstler: Ob urschreiähnliche (nach Arthur Janov, von John Lennon & Yoko Ono begonnener Versuche) oder ursonatengemäße (nach Kurt Schwitters) Stimmakrobat-Aktionen von Shelley Hirsch oder Jaap Blonk, ob maschinengeräuschartige oder Minimalismus geprägte Performances menschlicher Klangmaschinen von Jim Pomeroy und Chris Mann – kein Ton war zu abgedreht, kein Geräusch zu störend, um das Ergebnis nicht den interessierten Besuchern zuzumuten.
Die Tonaufnahme einer Homosexuellen-Demo in San Francisco 1990 setzte Bob Ostertag zu einer akustischen Montage zusammen, die in der Bearbeitung an stammesritualisierte polyphone Gesänge afrikanischer Ureinwohner erinnert. Gar nicht billig wirkt das dreiteilige Konzert von Petr Kotik vom März 1984, in dem er als Flötensolist drei Kompositionen für Soloflöte darbietet – von John Cage (Cheap Imitation), Jon Gibson und im selbst. Die technischen Möglichkeiten der Mitte der 1980er Jahre erhältlichen Kassetten- und Tonbandgeräte vereinnahmte Rolf Julius für seinen Bericht aus Berlin: Der Künstler bewegte sich auf Knien von einem Gerät zum anderen, nahm die daraus entstehenden Geräusche auf und spielte sie über kleine Lautsprecher wieder ein.
Die älteste Aufnahme auf der CD aber stammt vom 16. November 1980: Sound Performance von Z’EV alias Stefan Joel Weisser. Dieser fand im um das Apollohuis herumliegenden Müll verschiedene Objekte, die er zu Klangerzeugern und Perkussionsinstrumenten zusammenbaute und damit eine intensiv spürbare (und sehr laute) Darbietung produzierte.
Klaus Hübner