Fuentes, Arturo

Space Factory

Verlag/Label: NEOS 11409
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/02 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Karlheinz Stockhausen behauptete einmal, es könne keinen besseren Kompositionslehrer geben als den Maler Paul Klee. Diese Beobachtung bestätigte auch Pierre Boulez, der über die musikalischen Qualitäten von Klees Farbspielen ein Buch verfasste. Auf das Fruchtfeld von Musik und Malerei zieht es auch den 1975 geborenen mexikanischen Komponisten Arturo Fuentes.
So wie Klee mit Strichen spazieren ging, tut es ihm Fuentes mit Tonfolgen nach, aus denen sich nahezu unentwegt interessante Klangwucherungen herausbilden – tönende Rhizome. Der mittlerweile in Österreich beheimatete Komponist ist nicht an musikalischen Narrativen interessiert. Seine klingenden Versuchsanordnungen fokussieren sich auf die Untersuchung von Klangfarben, Texturen und harmonischen Mischformen. Es ist eine äußerst feingliedrige Musik, die sehr viel Aufmerksamkeit verlangt, um die in ihr arbeitenden Prozesse zu durchschauen. Fuentes verdichtet und entschlackt, zerteilt und kombiniert. Sounds befinden sich in permanenter Bewegung. Ruhepausen sucht man vergebens. Könnte so eine organische Musik klingen, ein lebendiger Organismus?
Eröffnet wird die CD mit der zehnminütigen Dunkelkammermusik, einer Komposition für Bassflöte und -klarinette, Viola und Violoncello. Fuentes empfiehlt beim Hören des Stücks die Augen zu schließen. Kommt man dieser Aufforderung nach, so glaubt man sich wirklich in einem dunklen Raum zu befinden, den man vorsichtig erkundet. Während man sich langsam vorantastet, tauchen musikalische Fragmente auf. Die plötzlichen Klangeruptionen, die in labyrinthischer Komplexität durch den Raum mäandern, lösen Verwunderung und Erstaunen aus.
Fuentes denke seine Musik als eine Vielzahl von konfusen Ereignissen, erklärt er im Begleitheft. Verwirrung ist in diesem Fall allerdings nicht negativ konnotiert. Man könnte auch von einer Traumlogik sprechen, die seine Kompositionen durchzieht, in denen melodische Momentaufnahmen, harmonische Splitter und rhythmische Querschläge einer schein­baren Sinnlosigkeit unterliegen. Es wirkt, als fordere der Komponist die Hörer dazu auf, seinen tönenden Expressionismus mit eigenen Assoziationen auszufüllen.
Im fünften Teil der Komposition Space Factory kommen zum ersten Mal elektronische Klänge ins Spiel. Violine, Viola, Violoncello und Bassklarinette werden mit subharmonischen Bässen, elektrischen Sounds, die an Sturm- und Windgeräusche erinnern, und kurzen rhythmischen Interpunktionen verwoben. Letztere gemahnen in ihrer Schärfe und Genauigkeit an die rhythmischen Experimente des Elektronikers und bildenden Künstlers Carsten Nicolai. Eindrucksvoll ist, wie Fuentes die elektronischen und instrumentalen Sounds miteinander vermischt, so dass sie sich nahezu reibungslos verzahnen. Das Resultat dieser kompositorischen Kombinatorik sind klangliche Amalgame von außerirdischer Schönheit, eine Musik, die tatsächlich aus den unbekannten Tiefen des Weltraums stammen könnte.
Raphael Smarzoch