Spaces & Spheres

Intuitive Music

Verlag/Label: Wergo WER 6764 2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/05 , Seite 89

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Vom Vater geprägt, vom Sohn inhaltlich nahezu perfektioniert: der Begriff «intuitive music» geht auf Karlheinz Stockhausen zurück, der ihn 1968 für sein Stück Aus den sieben Tagen einführte. Markus Stockhausen kuratiert seit 2000 einmal monatlich in der Kölner Kirche St. Maternus eine Konzertreihe mit intuitiver Musik und verwendet auch in diesem Zusammenhang die Bezeichnung als musikalisches Bild. In diesem Bild manifestieren sich Bezugspunkte, die Musiker einer intuitiv geprägten Spielweise wie ein Statement formulieren: Gefühl, Erfüllung, Empfindung, In-sich-Hineinhorchen. Stockhausens Credo ist es, Musik aus der Eingebung des Musikers heraus zu erfinden, einen gestalterischen Prozess ohne Noten, Spielanweisungen oder Absprachen innerhalb des Ensembles zu starten und bis an ein unbekanntes Ende fortzuführen.
Die technisch hervorragende Live-Aufnahme eines Konzerts auf Schloss Elmau aus dem Jahr 2008 präsentiert eine Palette glasklarer, aus dem Moment heraus entstandener Musik, die wie im Nichts geboren einen Raum mit einen Klangbereich ausfüllt, der selbst als Quelle des Sounds zu orten ist. Nachdem das Quintett vier Tage lang auf dem Schloss den Humus für das Projekt bereitete, entstand während des Konzerts die intuitiv errichtete Form zeitgenössisch skizzierter, grenzenloser und tatsächlich «freier» Musik.
Intuitive Musik ist eine flüchtige Kunstform, die den Augenblick als einzig kompetente Größe begreift. Die ausgedehnte und lang ausgehaltene Eröffnungssequenz in Ungone gleitet in einen Trompeten- und Klarinettenmoment hinüber, der erfüllt ist von durchscheinender Klarheit, während der ostinate Bass als verlässliche Dimension den Klangraum umschließt.
Ein tiefgreifendes Stück wie Right Bright Night, in dem die von Tara Bouman gespielte Bassklarinette einen grandiosen Resonanzraum für die anderen Instrumente öffnet, formuliert den Anspruch an intuitive Musik besonders anschaulich: Die ausklingenden Tonstrukturen bilden gleichzeitig die Startlinie für neue, das Abtasten der Klangflächen ergänzt minimalistische Tonpartikel.
Das letzte Stück, Invisible Again, greift das Thema des (fast) Unhörbaren auf, in dem es daran erinnert, dass im Ablauf filigraner Musik die Verbindungslinie zur Realität «wieder unsichtbar» werden kann – vor allem dann, wenn wie hier die Konzentration auf das musikalische Ereignis einer Unsichtbarkeit der Klangquelle gerichtet ist.
Die Produktion ist dem Bassisten Stefano Scodanibbio gewidmet, der am 8. Januar 2012 nach einer langen Krankheitsdauer verstorben ist. Mit ihm wie mit den anderen Musikern spielte Markus Stockhausen vor der aktuellen CD-Aufnahme in diversen Ensembles, mit Scodanibbio (und Fabrizio Ottaviucci) etwa in der Gruppe «Kairos»; mit Tara Bouman gründete Stockhausen 2000 das Duo «Moving Sounds».

Klaus Hübner