Knox, Garth / Brian O’Reilly

Spectral Strands für Viola und bewegte Bilder

Werke von Giacinto Scelsi, Salvatore Sciarrino, Gérard Grisey, Michael Edwards, Kaija Saariaho

Verlag/Label: Wergo WER 20625
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 83

Ohrenschmaus, Netzhautqual: Solowerke von Garth Knox

Zu den positiven Eigenschaften des Arditti Quartet gehört es u. a., dass aus ihm eine ganze Reihe herausragender Musiker hervorgegangen sind. In der hierarchischen Ordnung des Ensembles hatten sie Gelegenheit, ihr Profil zu schärfen, doch als künstlerische Individuen konnten sie sich erst nach ihrem Weggang so entwickeln, wie es ihrer Begabung angemessen war. So entstanden Solisten- und Kammermusikerkarrieren, die das interpretatorische Niveau in der neuen Mu­sik wesentlich gehoben haben. Zu nennen wären etwa der Cellist Rohan de Saram, der Geiger David Alberman und der Violaspieler Garth Knox.
Letzterer gibt nun auf einer vom ZKM herausgegebenen DVD mit Solowerken von Giacinto Scelsi, Salvatore Sciarrino, Gérard Grisey, Michael Edwards und Kaija Saariaho einen Einblick in sein überragendes Können. Die ganz unterschiedlichen Stücke, die hier unter dem Leitbegriff des Spektralismus zusammengefasst sind – was bei Sciarrino nur bedingt zutrifft –, spielt er mit einer Kombination von energischem Zugriff und hoher Klangsensibilität, was ihm so schnell kaum jemand nachmachen dürfte. Die Live-Elektronik, die bei Grisey, Edwards und Saariaho eingesetzt ist, potenziert die klanglichen Feinheiten zusätzlich.
Die Interpretationen sind durch Computeranimationen von Brian O’Reilly zum audiovisuellen Kunstwerk erweitert. Die wohlmeinenden theoretischen Empfehlungen im reichhaltig gestalteten Booklet können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der visuelle Anteil einen ziemlich eintönigen Eindruck macht. Was da als eine das Auge faszinierende Bildstörung gelobt wird, ist trotz offenbar aufwändiger Bearbeitung eindimensional. Die durch alle möglichen Verzerrungsfilter geschickten Aufnahmen zucken und flimmern immer genau im Takt der Musik. Es ist ein Disco-Effekt der elabo­rierteren Art, wie er nur in einem mit allen Schikanen ausgerüsteten Studio wie dem des ZKM hergestellt werden kann. Doch es bleibt ein Disco-Effekt.
Ein hartes, wenn auch zugegebenermaßen subjektives Kriterium – aber was ist in der Kunst schon nicht subjektiv? – für den Wert solcher Arbeiten ist stets die Frage: Würde ich mir das auch freiwillig anschau­en? In diesem Fall müsste die Antwort lauten: Die Musik hören – jederzeit. Die Bilder: nein. Mit ihrer mechanischen Hektik werden sie auf Dauer auch schlicht zu einer Qual für die Netzhaut. Aber es gibt sicher auch Freunde des audiovisuellen Experiments, die sich zu Hause ein gemütliches Environment aus Computerfilm und Surroundklang schaffen möchten. Ihnen sei die Produktion empfohlen. Für alle anderen gilt: Einfach nicht hinschauen und nur hö­ren. Es lohnt sich.

Max Nyffeler