Stabat mater dolorosa

Werke von Eva-Maria Houben, Christina C. Messner, Brigitta Muntendorf und Makiko Nishikaze

Verlag/Label: Makro-CD 1017
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/06 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Ein erschütterndes Bild zeichnet die mittelalterliche Sequenz «Stabat mater dolorosa»: Sie schildert, wie Maria, un­ter dem Kreuz stehend, voller Schmerz dem Tod ihres Sohnes Jesu zusehen muss. Über die Jahrhunderte hinweg haben Komponisten dieses «Stabat mater» immer wieder zur Grundlage kunstvoller mehrstimmiger Vertonungen gemacht: im A cappella-Chorsatz etwa Josquin de Prez, Lasso und Palestrina und später, als Kantate oder Oratorium, unter anderem Vivaldi, Pergolesi, Rossini, Dvorák, Verdi und Szymanowsky.
Von diesen großformatigen Werken, die den «Stabat mater»-Text chorisch oder solistisch erklingen lassen, heben sich die Musikstücke der vorliegenden CD in doppelter Hinsicht ab. Sie begnügen sich mit den begrenzten Ausdrucksmitteln von Solosopran und Cello und stellen nicht mehr den Anspruch einer traditionellen Wort-Vertonung. Der «Stabat mater»-Text fungiert für alle vier Komponistinnen, die sich vom Ensemble socell 21 mit der Sopranistin Irene Kurka und dem Cellisten Burkart Zeller herausfordern haben lassen, für diese ungewohnte Besetzung zu komponieren, nur noch als Inspirationsquelle. Die alte Sequenz ist als abwesende Mitte im Wortlaut vielerorts verschwunden und in Klängen aufgegangen.
st – mt nennt die heute in Berlin lebende Japanerin Makiko Nishikaze ihre «Stabat mater»-Reflexionen. In der Tat: wie der Titel andeutet, ist es hier so, als machte es der Leidensdruck der menschlichen Stimme schwer, sich in gebundener Rede zu artikulieren. In den weiten Klangraum, den das Cello vorab mit einer Wanderung durch die Register aufgespannt hat, fallen zunächst nur unartikulierte Roll- und Zischlaute, bevor die weibliche Stimme an Fassung gewinnt und sich ein gestischer Dialog zwischen ihr und dem Cello entwickelt, wobei nach dem Willen der Komponistin ein «innerer Erlebnisraum» entsteht.
Gezielt sperrig beginnt Christa Cordelia Messner ihre Komposition Crux. Heftig insistierende Attacken und Reibungen wirken wie ein Aufbegehren, doch folgen dem bald Phasen der Ermattung und geradezu Ergebung. Letztlich ist «Loslassen» die Devise von Crux, das als ruhiger Klagegesang endet.
Etwas aus dem sonstigen Rahmen fällt Eva-Maria Houbens Projektbeitrag, der neben dem Passionstext auch dessen freudevolles weihnachtliches Gegenstück «Stabat mater speciosa iuxta foenum gaudiosa» mit einbezieht und in seinem Ineinander von Klang und Stille auch ein Zuspielband benutzt: Ist es eine Art tragender Bordun, der die Live-Aktionen stützt? Oder eine Metapher für den ob des Einzelschmerzes indifferent bleibenden Welthintergrund?
Am theatralischsten fällt der Beitrag von Birgitta Muntendorf aus. Dass die italienischen Flagellanten des 14. Jahrhunderts das «Stabat Mater» bei ihren Wanderungen öffentlich sangen, bildet den Ausgangspunkt ihrer nicht nach innen trauernden, sondern Leid exzessiv ausstellenden Arbeit. Von «Melodramatik» und «überzeichneten Gesten» strotzt ihr Werk, in dem Realitätsfragmente wie Hechellaut und Peitschenknall zu vernehmen sind, während der (eingedeutschte) Text nahezu dadaistisch-sprachspielerisch deformiert wird.
Gerhard Dietel