Ofenbauer, Christian

Streichquartette 1997–2011

Verlag/Label: NEOS 11513-14
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/05 , Seite 78

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 4

 

Um Christian Ofenbauers Ausflüge in die Extrempositionen des Klanglichen zu würdigen, bedarf es eines hohen Maßes an Geduld und Zeit. Dies macht seine Streichquartette 
im besten Sinne zu unzeitgemäßen Kompositionen, zumal die Musik sich tagsüber kaum störungslos im Raum hören lässt, sondern aufgrund ihrer Intimität die Benutzung eines Kopfhörers einfordert. 
Was an den Arbeiten so erstaunt, ist die Konsequenz, mit der sie sich einer semantischen Deutung verweigern und dabei zugleich einen Weg jenseits des heutigen Neue-Musik-Mainstream einschlagen. Zwar finden sich im ersten Streichquartettsatz von 1997 noch Reste dessen, was man als gestisches Repertoire begreifen könn­te, und auch die 48-minütige Komposition Zerstörung des Zimmers/der Zeit von 1999 weist einige – freilich extrem stark reduzierte – Spuren davon auf; doch entbehren diese Elemente, etwa langsame Glissando-Bewegungen durch den Tonraum oder extrem leise Tremoli und Klangfarbenerkundungen im Obertonbereich, jeglichen assoziativen Potenzials. Dem Hörer bleibt daher nichts anderes übrig, als sich auf das zeitlupenartig entfaltete Bewegungspotenzial, auf die Farbschattierungen, die Bezugnahmen der Instrumentalstimmen zueinander und auf die allmählichen Veränderung des Klanggeschehens einzulassen. 
Hört man alle sieben Quartettsätze in der Reihenfolge ihrer Entstehung, kann man zudem die Umrisse einer kompositorischen Entwicklung erkennen, die sich – vor allem in der Gruppe der zwischen 2008 und 2011 in enger Aufeinanderfolge entstandenen fünf Streichquartette –, in einer Veränderung der jeweils den Kompositionen zugrundeliegenden Fragestellungen abzeichnet: Während im Zweiten Streichquartettsatz (2008) die Aktionen – Pizzicati, zarte Akzente, Flageoletts, Klangtupfer – zugunsten der Entstehung eines luftig gefügten Klangbands stärker vereinzelt sind als in den zuvor entstanden Werken, fokussiert der Dritte Streich­quartettsatz (2009) auf gestrichene Akkordklänge, die oft im rhythmischen Unisono, seltener einander überlappend in variierten Stimmkombinationen vorgetragen werden, aber von immer unterschiedlicher Dauer und Klangfarbe sind. «Bruchstück IX»/Vierter Streichquartettsatz (2010) ist um das Element der rhythmischen Repetition herum entwickelt, das sich, aus leichten Unschärfen zwischen den einzel­nen Instrumenten gespeist, zu ei­nem durch­gehend artikulierten, pulsierenden rhythmischen Gewebe verzweigt. Der Fünfte Streichquartettsatz (2011) mutet demgegenüber wie eine Zusammenfassung alles bislang Erarbeiteten an, die gegen Ende sogar zugunsten explosionsartiger Klang­in­ventionen den ansonsten vorherrschenden Pianobereich überschreitet. Vergleichbare, teils akkordisch formulierte Attacken sind dann wiederum Gegenstand des kürzesten Sechsten Streichquartettsatzes (2011), dessen nervöses Geflecht sich in einzelnen Aspekten wieder den gestischen Momenten aus dem frühesten Stück annähert, so dass über dem gesamten hier eingespielten Zyklus eine Art spiralförmige Verlaufsidee zu liegen schient.
Stefan Drees