Feldman, Morton
String Quartet No. 1 / Structures / Three Pieces
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5
Dem New Yorker FLUX-Quartett verdanken wir bereits eine wundervolle Aufnahme von Morton Feldmans zweitem Streichquartett, die 2001 entstand. Erst jetzt legt mode records das 2009 aufgenommene erste Quartett nach, das mit Feldmans gegen Ende der 1970er Jahre sich mehr und mehr verfestigender Idee, Stücke von sehr langer Dauer zu schreiben, ernst macht. Mit seinen zwei Stunden Spielzeit ist es allerdings noch immerhin ca. vier Stunden kürzer als das String Quartet No. 2 (1983)
also eine kurze und bündige «Vorstudie» zum späteren Langstreckenlauf, wenn man so will.
1979 war ein gutes Streichquartett-Jahr: Luigi Nonos Fragmente Stille, An Diotima und Feldmans String Quartet No. 1 markierten in der raumgreifenden Verkettung kleinster fragmentarischer Sinneinheiten beide nicht unähnlich zwei völlige Neubestimmungen der Gattung und in der Sprache der Komponisten eine ästhetische Radikalisierung im Sinne der reduktiven Konzentration auf wesentliche Ausdrucksmomente.
Man kann immer wieder nur staunen ob der rätselhaften Einzigartigkeit der Feldmanschen Musik, die kein Gegenstück hat, obwohl sie im Wesentlichen aus nichts anderem besteht als aus Tonhöhen, erst recht im klangfarblich relativ homogenen Medium Streichquartett. Nichts vordergründig Unkonventionelles oder gar Spektakuläres ist darin, keine unkonventionellen Spieltechniken, spektakulären Klangfarben, dramatische Expressivität, und dennoch klingt diese rein instrumentale Klangwelt, als käme sie von einem anderen Planeten.
Nach den kognitiven Grenzerfahrungen, denen sich das FLUX-Quartett in einer (pausenlosen) Live-Performance des zweiten Quartetts aussetzte, dürfte diese Einspielung ein Leichtes gewesen sein: Mit größter Zartheit, Zerbrechlichkeit und Klarheit kommt Feldmans kontemplative Assemblage daher und zieht einen gleich mit den ersten Klängen in ihren Bann. Jeder Augenblick will hier für sich wahrgenommen werden in der unendlich subtilen Variation und Rotation kleinster Figurationen und subtilster Klangfarben- und Beleuchtungswechsel, wobei herkömmliche Konturen von Zeit und Raum wie in Trance aufgelöst werden.
Bekanntlich ist das String Quartet No. 1 nicht Feldmans erster Gattungsbeitrag; insofern komplettieren die Structures (1951) und Three Pieces for String Quartet (195456) diese FLUX-Aufnahmen zur ersten Gesamteinspielung aller Streichquartette Feldmans. Nicht viele Formationen können von sich behaupten, sich dieser Herausforderung gestellt zu haben. Interessant, dass schon in diesen eher aphoristischen, vom gestischen Punktualismus Weberns inspirierten Stücken fast alles da ist, was den späteren Feldman ausmacht: das fundamentale Wechselspiel von Klang und Stille, Form als Verkettung kleiner variativer Wiederholungsschleifen und ein unwirklich vibratoloses Spiel.
Wer auf der beigefügten DVD
Visuelles erhofft, sieht sich getäuscht
es handelt sich um eine rein akustische Präsentation der Aufnahme im DTS 5.1 Surround Sound, die eine lückenlose Wahrnehmung des Ganzen ermöglicht. Dirk Wieschollek