Vasks, Peteris
String Quartets nos. 1-3
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4
Auffällig ist die Reihenfolge von Pe¯teris Vasks Streichquartetten auf dieser CD. Sie beginnt mit dem dritten Quartett aus dem Jahre 1995 und endet mit dem ersten, das 1977 entstanden ist. Ob sich hinter diesem Arrangement ein bestimmtes Konzept verbirgt, ist unklar. Interessant ist allerdings, dass das letzte Quartett von einer klanglichen Schärfe und Sperrigkeit gekennzeichnet ist, die in den vorhergehenden Stücken nicht zu vernehmen ist. Bravourös meistern die Instrumentalisten die komplizierte Partitur, manövrieren elegant und präzise durch dichte Toncluster, lösen anspruchsvolle rhythmische Probleme, artikulieren eloquent unterschiedliche Klangfarben und setzen mühelos erweiterte Spieltechniken ein. Es ist eine Freude, dem Navarra Quartet zuzuhören. Die Musiker spielen mit viel Enthusiasmus, der durch die gute Aufnahmequalität noch hervorgehoben wird. Der Sound ist transparent, man hört jede feinste Bewegung, steht mitten im Klang selbst das Atmen der Spieler ist wahrnehmbar. Das kommt besonders in den leisen und introvertierten Ausschnitten gut an, die dadurch noch intimer wirken.
So wie viele osteuropäische Komponisten teilt auch der Lette Pe¯teris Vasks eine Vorliebe für melancholische Melodien. Im Begleittext wird seine Musik sogar als «Herzschlag des Leidens» bezeichnet eine passende Analogie. Vasks Kompositionen sind rhythmisch, energisch, voller Leben und Entwicklung. Gleichzeitig ist ihnen eine zermürbende Schwermut eingeschrieben. Der in Riga lebende Komponist bezeichnet diesen Widerspruch als eine «Freude in Moll». Das Moment der Trauer in seinen Stücken speist sich scheinbar aus der damaligen politischen Situation seines Landes, der kommunistischen Unterdrückung, die offenbar noch bis heute als kollektives Trauma in der lettischen Gesellschaft nachwirkt. Vasks Musik ist eine Verarbeitung der Geschichte Lettlands, ein Appell an seine Landsleute, die Schönheit der Welt zu erkennen, die ihnen so lange verschlossen geblieben ist.
Als explizit politischen Komponisten versteht er sich allerdings nicht. Seine Musik dient nicht der Agitation, sondern möchte Trost spenden und eine Stimme des Gewissens sein. Sie kämpft gegen das Vergessen an. Dafür verwendet Vasks zum Beispiel Versatzstücke aus der lettischen Volksmusik, mit denen er auf die reiche
Tradition seiner Heimat verweisen möchte, die das Sowjetregime zu zerstören beabsichtigte. Diese musikalischen Partikel sind besonders im dritten Streichquartett zu hören.
Darüber hinaus bilden Vogelstimmen eine wichtige Rolle innerhalb der drei Kompositionen, die Vasks mit eleganten Streicherfiguren nachzuahmen versteht. Der Vogel versinnbildlicht in diesem Fall den Gedanken der Freiheit, das Konzept einer unbezwingbaren Natur, die keine Grenzen kennt und nicht domestizierbar ist. Diese Idee spiegelt sich allerdings nicht nur in einem konzeptuellen Denken wider, sie ist auch konkret in der Musik vertreten, nämlich in einem Sound, der aus der Feder eines selbstbewussten Komponisten stammt ruhelos und stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen.
Raphael Smarzoch