String Trios

Werke von Arnold Schönberg, Anton von Webern und Alfred Schnittke

Verlag/Label: Challenge Classics CC72375
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/06 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

Wie ein Fieberschauer überfällt Arnold Schönbergs 1946 komponiertes Streichtrio den Hörer. Einzelne nervöse Gesten sind zu vernehmen; Triller, Flageoletts, mit dem Holz geschlagene und auf dem Steg gespielte Töne erklingen, ohne sich zur greifbaren Gestalt zu verdichten. Erst in den beiden «Episoden» zwischen den drei Teilen des Stücks werden thematische Konturen sichtbar; melodische Fragmente lassen für Momente Ruhe einkehren.
Nach wie vor gehört das Streichtrio zu Schönbergs am schwersten auffassbaren Kompositionen, bei dem noch das Mitlesen des Notentextes höchs­te Konzentration erfordert. Eine eigenartige, aber schöne Idee dieser CD-Veröffentlichung ist es, der sperrigen Musik ein sprachliches Dokument folgen zu lassen, ein Statement des Komponisten über den hohen Anspruch seines Werks in wienerisch gefärbtem Englisch: «I know, that little niceties repeated over and over … are easier to grasp … than a lan­guage which insists on brevity and accordingly would not repeat without exhibiting the new form of an idea …»
Expression pur lässt das belgische, auf Musik seit dem 20. Jahrhundert spezialisierte Goeyvaerts String Trio in seiner Interpretation walten: Der Schönberg der Spätzeit kommt auf die emotional gefärbten «Ausdrucksprotokolle» seiner Frühwerke zurück. Bei Schönbergs Weggenosse Anton Webern tönt es anders. In dessen zweisätzigem Streichtrio op. 20 von 1927 wie auch in dem zwei Jahre früher entstandenen, aber erst posthum veröffentlichten «Satz für Streichtrio» herrscht vergleichsweise Kühle: Hier sind die Emotionen gleichsam unter Glas eingesargt. Fein zerstäubte Klänge arrangieren sich zu Ton-Mobiles, aus deren internen Bewegungen, wiewohl dynamisch abgestuft, nur selten größere Erregungspegel nach oben ausschlagen.
Der dritte Große der «Neuen Wiener Schule», Alban Berg, hat sich wohl dem Streichquartett, nicht aber der Streichtrio-Besetzung zugewandt. Einen gewissen Ersatz, der die vorliegende CD inhaltlich abrundet, bildet jenes Streichtrio, das Alfred Schnittke im Jahre 1985 als Auftragswerk der Alban-Berg-Gesellschaft anlässlich von Bergs 100. Geburtstag schuf. Mit dieser Komposition taucht Schnittke tief auch in die eigene Vergangenheit ein, in die Jahre, die er ab 1946 als Kla­vierschüler in Wien verbrachte. Das Streichtrio reflektiert in seinen zwei Sätzen die Jugendeindrücke mit Anspielungen an Schubert, Mahler und Berg, oft gebrochen und verzerrt, in immer neuen polystilistischen Ver­klei­dungen. Schnittke und das Goey­vaerts String Trio nehmen den Hörer auf Wanderungen mit, die durch ein imaginäres Wien führen, Sackgassen und Irrwege inbegriffen. Zwischen nostalgischen Erinnerungen und Inseln des Schönen lauern aber stets Abgründe; wild auffahrende Gesten wirken als Einbrüche von Gewalt ins trau­­ernd erinnerte Idyll.

Gerhard Dietel