Kubisch, Christina

Stromzeichnungen

Electrical Drawings

Verlag/Label: Kehrer, Heidelberg 2008
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2009/05 , Seite 94

Christina Kubisch, geboren 1948 in Bremen, Studium der Malerei, der Musik, der Komposition und der elektronischen Musik, freies Studium der Elektronik, seit 1974 Konzerte und Performances, seit 2004 Electrical Walks, Lehraufträge, Gastprofessuren, seit 1994 Professur für Plastik / Audiovisuelle Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken. So lässt sich in aller Kürze die Biografie einer Universalistin zusammenfassen, die in der Welt der Klangkünstler zu den Pionieren gerechnet wird, deren Kunst beheimatet ist an den zarten Membranen zwischen Stille und Geräusch, zwischen Geräusch und Klang, zwischen Klang und Musik, zwischen natürlich und artifiziell hergestelltem Klang, zwischen offenem und geschlossenem Kunstwerk.
Kubisch benutzt ihre Kunst, um den Betrachter in die Position des Künstlers zu versetzen. Das Phänomen der Synästhesie bekommt in ihren Arbeiten eine neue Dimension. Und vieles aus der Klanggedanken-Werkstatt von Kubisch ist nur temporär und für ausgesuchte Orte prä­pariert. Nicht zuletzt ist ihre Künstlerschaft verknüpft mit wissenschaftlicher Neugier, abzulesen an dem umfangreichen Begleitwerk zu ihren Klanginstallationen und Performan­ces.
Diesem Begleitwerk, das eigentlich ein Basiswerk ist, war in der Kunsthalle Bremen vom 15. Juli bis
5. Oktober 2008 eine Ausstellung gewidmet. Zeichnungen, Skizzen mit Wort und Bild sowie visuelle Partituren der vergangenen 35 Jahre wurden unter dem Titel Stromzeichnungen. Electrical Drawings gezeigt. Zur Ausstellung haben deren Kurator Ingmar Lähnemann und der Direktor der Bremer Kunsthalle, Wulf Herzogenrath, den vorliegenden Katalog herausgegeben. Allen hier pub­lizierten Essays ist eingeschrieben, wie vermeintlich scharf umrissene Begriffe mit einem Mal ausfransen, ja geradezu mäandern, versucht man sie auf die Arbeiten Christina Kubischs anzuwenden.
Lähnemanns Essay fräst sich exemplarisch durch den dichten Kom­plex ihrer performativen Kunst und führt dabei vor, wie schnell man an einer wahrhaften Rezeption dieses Werks vorbeischliddern würde, versuchte man, sich mit plakativen Begriffen wie «Originalität» oder «Provokation» zu behelfen. Karin Seinsoths Beschreibung von Kubischs Zusammenarbeit mit Fabrizio Plessi auf dem Gebiet der experimentellen Musik, Performance und Videokunst zeigt, in welch enger, komplexer Wechselwirkung sich Theorie und Praxis im Werk von Christina Kubisch befinden. Uwe Rüth tastet sich an Kubischs Licht-Klang-Installatio­nen he­ran, Christoph Metzger an die «Kartierungen durch Klang». Gemeinsam ist diesen Essays der sensible, präzise Blick für das Miss­trauen von Christina Kubisch gegenüber allem «Objekthaften und Festgelegten» und damit auch eine Anleitung zum Hinterfragen der ei­genen Wahrnehmung im Sinne der Künstlerin.

Annette Eckerle