Struktur und Oberfläche

Kompositionen von Stefan Streich, Jürg Frey und Nikolaus Brass

Verlag/Label: Beoton?WO1911
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 90

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 3
Repertoirewert: 4
Booklet: 1
Gesamtwertung: 4

Struktur und Oberfläche – unter diesem Titel hat das elole-Klaviertrio im April 2009 ein Konzert mit Kompositionen von Stefan Streich, Jürg Frey und Nikolaus Brass gegeben, das beim Label Beoton nun als Live-Mitschnitt erschienen und zugleich die erste CD-Veröffentlichung des Ensembles ist. Uta-Maria Lempert, Violine, Matthias Lorenz, Violoncello, und Stefan Eder, Klavier, führten im Rahmen des Konzerts die Vier Bagatellen (2008) von Streich, die 5 Paysage pour Gus­tave Roud (2008) von Frey und das Trio (1987-91) von Brass auf. Die Werke von Streich und Frey sind Auftragskompositionen des Ensembles, die bei diesem Konzert uraufgeführt wurden.
Stefan Streich studierte Komposition u. a. bei Helmut Lachenmann und Isang Yun, schreibt Kammermusik genauso wie Orchesterwerke und sucht immer wieder auch den Dialog mit anderen Kunstformen. In den Bagatellen spielt Streich mit der Instrumentalbesetzung, fügt häufige Solopassagen ein. Ebenso wechseln Passagen, in denen der kompositorische Prozess von sich entwickelndem motivischen Material gekennzeichnet ist, und solche, in denen Klangflächen mit- und gegeneinander produziert werden, einander ab. Die Gliederung in vier Sätze verleiht der Komposition eine äußere Struktur, der im Inneren ein sehr freier Umgang mit dem Material entgegensteht.
Jürg Frey arbeitete zunächst als Klarinettist und kam erst später ganz zur Komposition. Seine 5 Paysage pour Gustave Roud sind eine Komposition, die von ausgesprochenem Bestreben nach Nihilismus geprägt ist. Rhythmik und Dynamik scheinen kaum eine Rolle zu spielen, sphärische, statische Klänge sind übereinander geschichtet, Bewegung ist kaum vorhanden. Gerade das ist es jedoch, was das Stück für das Ensemble elole so typisch macht. «elole heißt die fast anarchische Antwort […] auf die spiegelglatten Strukturen der Klangerlebnisgesellschaft.» Dieses Zitat aus dem Kulturmagazin dresdner sagt vieles über das Selbstverständnis der Musiker und den Anspruch an ihr Repertoire aus. Das Stück von Jürg Frey passt eben nicht zu den Vorstellungen einer «Klangerlebnisgesellschaft»; Zuhörer und Interpreten müssen sich auf die gleichsam Nicht-Klanglichkeit der Komposition einlassen.
Nikolaus Braas ist hauptberuflich Mediziner, widmet sich daneben regelmäßig der Komposition. Den beiden Abschnitten seines Trios ist ein Motto vorangestellt, mit dem Brass in etwa zwei Minuten das Programm für seine Komposition entwirft. Ton und Stille treten miteinander in Konkurrenz, Bewegung und Stillstand, Polyphonie und Monotonie in gleichem Maß. Dem gibt Brass viel Zeit sich zu entwickeln, während der immer wieder der Eindruck aufkommt, das Stück würde zum Erliegen kommen.
Das elole-Klaviertrio setzt die Anforderungen der Stücke mit analytischer Klarheit um, bewahrt sich dabei einen warmen, phasenweise weichen Grundklang, der ganz aus dem Geist kammermusikalischer Tradition zu kommen scheint. Das ist eine große Hilfe dabei, die Stücke den Zuhörern nahezubringen. Gerade weil sich das Ensemble auf zeitgenössische Musik spezialisiert hat, macht diese Debüt-CD neugierig, wie die Musiker dem das Repertoire des 19. Jahrhunderts entgegensetzen würden.

Christian Schütte