Süden | Mauricio Kagel in Buenos Aires
Ein Film von Gastón Solnicki
Zurück in Buenos Aires: Mauricio Kagel zu Besuch in der alten Heimat
Im Jahr 2006 besuchte der Komponist Mauricio Kagel erstmals wieder seine alte Heimat Argentinien. Seit dem Militärputsch von 1976 war er nicht mehr dort gewesen. Nun, zwei Jahre vor seinem Tod, kam er nach Buenos Aires, um für ein einwöchiges Kagel-Festival am Teatro Colón eigene Werke einzustudieren und zu dirigieren. Die Dokumentation des argentinischen Filmemachers Gastón Solnicki, die bei dieser Gelegenheit entstand, will eigentlich nichts anderes als ein Komponistenporträt sein. Doch sie gibt ungewollt auch gleich einen Einblick in die Strukturen und Mentalitäten des dortigen Musiklebens, die sich von denen in einem hochentwickelten europäischen Land, wo die Institutionen stabil und die Subventionen hoch sind, erheblich unterscheiden. Musik hat in Argentinien noch einen anderen Stellenwert. «Ich weiß, in Buenos Aires ist Musik lebensnotwendig», sagt Kagel. «Sie ist auch ein Ersatz für vieles, was nicht klappt.»
Mit relativ einfachen Mitteln zwei Kameras und altes Fernsehformat 4:3, aber gute Tonqualität ist ein lebensnahes Porträt Kagels entstanden, in dem der konzentrierte Blick auf den Gegenstand immer wieder durch Spontaneität und Witz aufgelockert wird. Der Filmschnitt trägt viel zu diesem Eindruck bei, aber auch die Aufnahmen selbst verraten viel Gespür für das kleine, aber aussagekräftige Detail. Mit unaufdringlicher Neugierde begleitet die Kamera den Komponisten bei seiner Wiederentdeckung der altvertrauten und doch fremd gewordenen Umgebung. Sie geht mit ihm auf die Straße und in die Theaterkantine, beobachtet ihn im spontanen Gespräch mit Bekannten und Unbekannten und bei der Probenarbeit mit den vorwiegend jungen Interpreten, die seine Musik erstmals spielen. Die erwartungsvolle Nervosität hinter den Kulissen, die sich vor dem Konzert bei Komponist und Interpreten bemerkbar macht, wird beispielhaft eingefangen. Sichtlich gerührt reagiert Kagel auf die Sympathiebekundungen, die ihm entgegenschlagen.
Eine geistige Leichtigkeit prägt die Begegnungen, und die kleinen Missverständnisse und Probleme, die bei dieser Konfrontation des Perfektionisten Kagel mit den Unzulänglichkeiten des argentinischen Musiklebens auftreten, werden in der Probe mit Charme und Humor überwunden. Auftakt zum ersten Akkord: Kein Schlagzeuger! «Er kommt noch, jetzt geht er wohl gerade von der Arbeit weg.» Wo ist die Harfe bei Ziffer sieben? «Verzeihung, sie wird gerade hereingetragen.»
Diese Mischung von Lockerheit und Arbeitsernst zeichnet den Film insgesamt aus und hält das Interesse des Zuschauers gleichmäßig wach. Das Porträt verströmt menschliche Wärme und wahrt zugleich respektvolle Distanz zur Person eine Kunst der Menschenbeobachtung, die nicht vielen gelingt. Vielleicht braucht es dazu den Erfahrungshunger junger Kunstenthusiasten aus einer Kulturlandschaft wie Argentinien, die noch nicht so saturiert ist wie die unsere.
Max Nyffeler