Wittenburg, Florian

sympathetic, (a)symmetric

new music for piano

Verlag/Label: NurNichtNur Berslton 112 06 14
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 87

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 3

Der 1973 in Berlin geborene, jetzt in Kleve am Niederrhein lebende und im benachbarten holländischen Nijmegen arbeitende Florian Wittenburg fand für seine musikalischen Forschungstrips beim NurNichtNur-Label von Dieter Schlensog eine Publikationsbasis, die neben der Aufgeschlossenheit des Labeleigners für zeitgenössische Soundkreationen eine Veröffentlichungsplattform mit weltweiter Akzeptanz bietet. Nach seinem Debüt Artefacts (2011) ist nun Wittenburgs zweite Produktion mit dem kompliziert wirkenden Titel sympathetic, (a)symmetric – new music for piano erschienen. Die Stücke entstanden zwischen 2008 und 2009, Chords in Slow Motion allerdings bereits 2000. Interpretiert werden sie von Wittenburg (Patterns in a Chromatic Field I-IV), dem Holländer Nico Huijbregts (Three Drones I-III) und Daan Vandewalle aus Belgien (Sol meets John I-II und Chords in Slow Motion).
Im ruhigen Fluss des musikalischen Prozesses, den Florian Wittenburg aus dem Dreiklang, der als zentrales Element der westlichen Harmonielehre gilt, entwickelte, formuliert der Komponist eine spezielle harmonische Spra­che. Er näherte sich dabei dem Begriff «Crippled Symmetry» an, den Morton Feldman in seiner gleichnamigen Komposition von 1983 mit Wiederholungsmustern und sich im Raum ausdehnenden Dauern ausstattete. Wittenburg durchbricht das Wesen der Harmonie mittels dieser symmetrischen Verkrüppelungen, die durch die motivischen Wiederholungen jeweils unterschiedliche Längenausprägungen provozieren. Die Essenz des Ganzen zeigt sich in der Verwendung visueller Begriffe wie Symmetrie, Asymmetrie oder «verkrüppelte» Symmetrie und der Kombination von Ganztonleiter mit Halbtonleiter. Was hier so abstrakt klingt, wird spätestens im Hör­erlebnis deutlich – die Musik schreitet ein Klangspektrum ab und verhüllt den mathematischen Ansatz mit weichen, harten, klar unterscheidbaren und eben wiederkehrenden Tönen.
Wittenburg verziert seine neuen Kompositionen (außer bei Chords in Slow Motion) mit einer Spieltechnik, die das «Sustain»-Prinzip (engl. für aushalten, aufrechterhalten), die Verlängerung des am Klavier angeschlagenen Tons mithilfe des Pedals, als Effekt und als konterkarierende Aktion nutzt. Normalerweise schwingt eine angeschlagene Klaviersaite nach dem Anschlag ja relativ schnell aus, die Lautstärke des Tons lässt nach. Die Sustain-Technik offenbart sich insbesondere am Beginn der Three Drones, deren einleitende Töne eine schier endlose Verlängerung erfahren. Die über den sich manifestierenden Dauerton sparsam gesetzten Solotöne bilden ein Gegengewicht zum «dröhnenden» Gesamtklang. Wittenburg schafft es, durch eine streng mathematische Berechnung der großen und kleinen Intervalle dem Minimalismus in der Musik neuen Auftrieb zu geben. In­dem er sich an bestehenden gestalterischen Objekten orientierte (Feldman), entstand ein asymmetrisches Klangspektrum mit unvorhersehbaren Wendungen und Ausprägungen.

Klaus Hübner