Pärt, Arvo
Symphony No. 4
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4
Ungebrochen scheint die Faszination, die das Werk von Arvo Pärt auf viele Hörer ausübt; nach wie vor stichhaltig sind allerdings auch die Vorbehalte, die ihm von seinen Kritikern entgegengebracht werden. Der Erfolg seiner Musik verdankt sich ihrer eingängigen Sinnlichkeit in Verbindung mit einer unmittelbaren Sogwirkung, die wiederum auf einem beständigen melodischen Fluss und dem Reiz eindringlicher perkussiver Impulse beruht. Nicht anders ist es auch bei Pärts 4. Symphonie mit ihren langgezogenen Klangflächen, die sich ohne jegliche Berührungsängste mit klassischer Dur-Moll-Harmonik und Pärts obligaten Glöckchen eine gute halbe Stunde lang entfalten.
Wenn bald nach Beginn ein langer, pathetischer Tutti-Gesang mit wuchtigen, von Glocken aller Größen geprägten Schlägen einsetzt, verfestigt sich bereits der Eindruck einer Musik als Ritual, die an nachromantische Traditionen anknüpft. «Wie ein Kondukt» könnte etwa über der abschließenden Passage des ersten Satzes («Con sublimità») stehen, ohne dass er freilich an die Brüchigkeit der Partituren Mahlers anstreifen würde.
Vielmehr scheint Pärt auf ein rein affirmatives Hören abzuzielen erst recht bei den schreienden Gebärden des mittleren Satzes («Affannoso»), welcher bewegte Pizzicato-Passagen und expressive Streicherlinien miteinander verbindet, die schon im ersten Satz eine Rolle gespielt hatten. Nach einem ein wenig an Samuel Barber erinnernden, hart an der Kitsch-Grenze angesiedelten Kantabile überrascht der Schlusssatz («Deciso») allerdings mit spröder Kontrapunktik, die gegenüber der vorangegangenen Sphärenmusik kämpferisch wirkt und sich mit der Widmung der Symphonie an Michail Chodorkowski, des inhaftierten und vor Gericht gestellten regimekritischen russischen Geschäftsmanns, verbinden ließe.
Als «Verbeugung vor der starken Kraft des Geistes und der Würde des Menschen» will der estnische Kultkomponist sein Auftragswerk für das Los Angeles Philharmonic Orchestra verstanden wissen, das hier in einem Mitschnitt der Uraufführung im Jänner 2009 unter Leitung von Esa-Pekka Salonen mit vibrierender Intensität und ätherischem Streicherklang vorliegt. Der Untertitel Los Angeles weist laut dem äußerst sparsamen Booklettext darauf hin, dass sich Pärt dabei mit dem Thema Engel bzw. Schutzengel befasst habe. Schon vor Erhalt des Auftrags aus den Vereinigten Staaten habe er sich mit dem Gedanken getragen, einen «Kanon an den heiligen Schutzengel» zu verarbeiten.
Dazu passen die Ausschnitte aus Pärts homophoner Vertonung des orthodoxen kirchenslawischen Hymnus Kanon pokajanen (1997), die ebenfalls auf der CD zu hören sind: Der Estnische Philharmonische Kammerchor mit seinem Dirigenten To¯nu Kaljuste versinkt allerdings in der Tallinner Nikolaikirche hinter einem überakustischen Schleier.
Daniel Ender