Dinescu, Violeta

TABU. Auf der Suche nach Mozart … / Kata / Tabu / Lun-Ju / Arabesques / Et pourtant c’est mieux qu’en hiver …

Verlag/Label: gutingi 243
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/03 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Als sie 1982 nach Deutschland kam, wehten die Winde günstig für eine Rumänin, die ihr mathematisches und musikalisches Können im strengen Ausbildungssystem des Ostens erworben hatte, ergänzt um ein Lehrjahr unter der Obhut einer wahren Meisterin: der Komponistin Myriam Marbe. Violeta Dinescus Unbefangen­­heit, auf Maß und Zahl gestützte Formverhältnisse zu schaffen und zugleich dem «unberechenbaren» Eigenleben der Klänge nachzugeben, ihr Vermögen, eine gegenwartsnahe Tonsprache zu entwickeln, die der Folklore ihrer Heimat subkutan verbunden bleibt, mit einem Wort: ihre Fähigkeit, Rückbindung und Ausgriff, Herkunft und Hinkunft unangestrengt zu vereinen – gerade diese undogmatische Geisteshaltung und die unendliche Leichtigkeit ihrer Feder mochten die Juroren 1982 bewogen haben, sie mit dem 1. Preis des Mannheimer Kompositionswettbewerbs zu beglücken. Als Folgeauftrag entstand 1983 das Septett Auf der Suche nach Mozart …. Wobei der Mozart-Bezug ebenso vorgegeben war wie die krause Besetzung: Flöte, Fagott, Horn, Saxofon, Violine, Harfe und Klavier/Cembalo. Dass sie es später für die Triobesetzung Flöte/ Schlag­­zeug/Klavier umschrieb, ist der Freundschaft geschuldet, die Dinescu seit über zwanzig Jahren mit dem Trio Contraste aus Bukarest verbindet.
In dieser Version eröffnet das «mozärtliche» Stück das kammermusikalische Porträt der Komponistin, dem ein Konzertblock des Deutschlandfunks vom November 2009 zugrunde liegt. Die CD ist zugleich eine Hommage an die drei wunderbaren Musiker des Trio Contraste, für das sie fast alle der hier eingespielten Titel nachträglich arrangierte.
«Labyrinthe um Mozart herum» – so beschrieb die Komponistin ihre luftig tönende Mozart-Suche. Sie erinnert an die Pomeranzenspiele einer sizilianischen Komödiantentruppe, die Mörike in der Novelle Mozart auf der Reise nach Prag beschreibt: ein Jugenderlebnis des Komponisten am Golf von Neapel. Empfänglich für literarische Bilder ist Dinescu allemal, wie Kata zeigt, ein Duo für Flöte und Klavier von 1990. Es trägt den Titel eines Gedichts von Georg Heym. Die Großstadt als Brutstätte dämonischer Kräfte, die das Le­ben der Bewohner bedrängen und ein rauschhaftes Vernichtungswerk betreiben – dieses Zentralmotiv Heyms, seine endzeitliche Metaphernwelt (die in ihrer Dynamik an barocke Lyrik erinnert) klingt in dem Duo ebenso wider wie der Hoffnungsstreif einer Welterneuerung.
Auch Filmkunst inspiriert die Rumänin. Siehe ihre Musik zu einem Stummfilm, den der Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau um 1930 in der Südsee drehte – Geschichte einer von religiösem Tabu überschatteten Liebe. Ihre Stummfilm-Musik Tabu schrieb Dinescu 1988 für die Alte Oper Frankfurt. 2003 leitete sie aus ihr ein viertelstündiges «Fragment» für das Trio Contraste ab, in dem sich die bange Poesie der Bilderzählung kaleidoskop­­artig bricht. Lun-Ju, eine Art konfuzianisches Lehrgespräch, die rhapsodisch fili­granen Arabesques und das Trio Et pourtant c’est mieux qu’en hiver in memoriam Myriam Marbe bereichern die entdeckungswürdige Schatzkammer der Rumänin
Lutz Lesle