Lang, Bernhard

The Anatomy of Disaster (Monadologie IX)

Verlag/Label: Music Edition Winter & Winter W & W 910 217–2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/06 , Seite 89

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

So allmählich gewinnt das Streichquartett in der Neuen Musik an Bo­den zurück. Nachdem die bürger­liche Traditionsgattung lange Zeit einen schweren Stand hatte, rückt zunehmend die Erkenntnis in den Vordergrund, dass es eigentlich ja schon immer eine Spielwiese für experimentierfreudige Komponisten ge­wesen ist. Genau diese Laborsituation haben sich die Donaueschinger Musiktage 2010 zum Thema gemacht, wo Bernhard Langs Monadologie IX. The Anatomy of Desaster durch das Arditti String Quartet uraufgeführt worden ist.
Der Österreicher Lang hat sich mit zwei Werkserien einen Namen gemacht – Differenz/Wiederholung und Monadologie. Irgendwann hatte er das Prinzip des Scratchens für sich entdeckt, das er auf Live-Instrumente übertrug und zu seinem Marken­zeichen machte. In der Monadologie-Reihe arbeitet er etwas anders, komplexer, aber die Handschrift ist unverkennbar. Hier greift Lang jeweils auf klassische Partituren zurück, die er, wie er es ausdrückt, «überschreibt». Im Fall von Monadologie IX bildet
Joseph Haydns Streichquartett Die sieben letzten Worte die Vorlage. Lang übernimmt dessen Neunsätzigkeit, greift einige Motive daraus auf, die er anschließend zersetzt und bis zur Unkenntlichkeit atomisiert. Übrig blei­ben die typischen Bernhard-Lang-Repetitionen, mit denen er die Haydn-Form wieder auffüllt.
Die Verarbeitung des Haydn-Materials erfolgt zunächst mittels Computerprogrammen, die Lang selbst geschrieben hat. Er nennt sie «zelluläre Automaten». Solche Automaten sind eigentlich Berechnungsmodelle, mit denen sich Prozesse beispielsweise aus der Natur oder dem Wetter simulieren lassen. Lang benutzt ein solches Verfahren, um ausgewählte Motive aus Haydns Streichquartett einem Entwicklungsprozess zu unterwerfen.
Aber anders als in einem traditionellen Kompositionsverfahren, das aus einem Motiv ein Thema entwickelt und dieses weiterverarbeitet, sorgt Langs Verfahren eher für Atomisierung. Die Motive aufzuspüren und ihre Zersetzung zu verfolgen, macht daher einen Teil des Reizes beim Hören des Stückes aus. Sie wirken wie ein Bodensatz der Tradition, in der die fragilen Muster aus in- und gegeneinander verschobenen Motivstücken wurzeln. Dennoch macht die «Überschreibung» die Vorlage weitgehend unkenntlich.
Dass die Partitur nicht ganz so errechnet klingt, wie man vielleicht vermuten könnte, liegt zum einen daran, dass Bernhard Lang jeden Ton, den der Computer ausspuckt, noch einmal überprüft und verändert: «Man muss jeden einzelnen Ton neu nachkomponieren, ihn auf seine Spielfähigkeit hin austesten, seine mögliche Fehlerhaftigkeit und seine Dramaturgie untersuchen», so Lang. Auch verlässt er sich hier nicht allein auf pulsierende Repetitionsmuster, sondern webt auch feingliedrige Passagen in seine Musik. Zum anderen ist es das Arditti Quartet, das die Partitur zum Leben erweckt und die fragilen, meditativen Strukturen atmen lässt. Es sind die winzigen Interpretationsdetails zwischen brüchigen und energie­geladenen Klängen, die diese Aufnahme so wertvoll machen.

Elisabeth Schwind