The Bow Project

2 CDs

Verlag/Label: tutl FKT044
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/04 , Seite 95

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 4

Vereinzelt gibt es sie noch in unserer modernen Welt: die alte südafrikanische Erzählkultur. Da begleitet sich eine Sängerin selber, indem sie ein einsaitiges Musikinstrument, einen Jagdbogen, mit einem Holzstäbchen traktiert und die dabei entstehenden rhythmischen und zuweilen schrapenden Klänge durch ihren Mund- und Rachenraum verstärkt. Sie lässt Obertöne hörbar werden und greift mit der anderen Hand die Saite an einer ganz bestimmten Stelle ab. So mischt sie auf urtümliche Weise die Töne ihres Bogens alternierend mit einem schlichten Gesang.
Umhadi, Umhrube oder Ughubu heißt das Instrument, je nach Stammeszugehörigkeit der Sängerinnen, in deren Repertoire uraltes Wissen um Leben und Sterben, um Mensch und Natur nach wie vor lebendig ist. Dies vor dem Vergessenwerden zu bewahren ist erklärtes Ziel eines von Michael Blake initiierten Projekts, bei dem die Musik – in diesem Fall von Nofinishi Dywili gesungen und gespielt – erforscht und in guter Aufbereitung präsentiert wird. Darüber hinaus wird sie von begeisterungsfähigen Komponisten musikalisch kommentiert und reflektiert. Mehrere kürzere Stücke für Streichquartett sind das Ergebnis gezielt erteilter Kompositionsaufträge an überwiegend südafrikanische Autoren. In der Gegenüberstellung von Uhadi-Gesang und Quartettspiel wirken die beiden so entstandenen CDs wie ein im Hohlspiegel verdichtetes Klangbild Südafrikas.
Aufhorchen lässt vor allem das von Blake selber verfasste und vom dänischen Nightingale-Quartet in liebevoller Zuwendung realisierte Streichquartett Nofinishi. In rauer und verhaltener Diktion lässt es den Hörer ein wenig von der unromantischen Schönheit jener Region spüren, in der es entstand. Wie Blake benutzen auch Jürgen Bräuninger und Julia Raynham in ihrer Musik so gut wie keine Elemente aus den Feldaufnahmen ihres afrikanischen Vorbilds, und doch wird in ihren Stücken viel von der politischen Wirklichkeit (Bräuninger) und mythischen Kraft (Raynham) der Gesänge Nofinishi Dywilis spürbar.
Fündig wird, wer in Komeng von Mokale Koapeng und in den Lines von Lloyd Prince zwischen den Liedern und deren modernen «Übersetzungen» interpoliert. Noch dichter am Original klebt Kristian Blak, während das 4. Streichquartett von Matteo Fargion wie Techno-Musik klingt. Doch ist die von Fargion aus der Uhadi-Musik abgeleitete Ornamentik der repetitiven Muster im Grunde nichts anderes als was die aus der Xhosa-Ethnie stammende Musikerin macht, wenn sie ihre Hörer nach und nach in Trance geraten lässt.
Aus der Mischung originaler Feldaufnahmen und moderner Instrumentalklänge machte Theo Herbst mit gekonnt eingesetzten elektronischen Mitteln ein in sich stimmiges Klangbild, bei dem sich die Gegensätze zu einer Einheit verbinden. In dieser Art der musikalischen «Brechung» erschließt sich das Original weitaus besser als in den romantisierenden Beiträgen von Martin Scherzinger und Atli Peterson. Spätestens an dieser Stelle der ansonsten immer wieder faszinierenden CD wird deutlich, dass das «Bow-Project» auch ein wenig von der Sehnsucht einiger in einer überzivilisierten Welt lebender Weißer nach der Ursprünglichkeit des schwarzen Kontinents getragen ist.
Klaus Hinrich Stahmer