Johnson, Tom

The Chord Catalogue

Samuel Vriezen: Within Fourths / Within Fifths

Verlag/Label: Edition Wandelweiser Records EWR 1304
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 84

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 1

Als Komponist neigt Tom Johnson immer wieder dazu, sich dem Akt subjektzentrierter Entscheidungsfindung zu verweigern. Die Gestalt vieler seiner Stücke ergibt sich durch den Rückzug auf Konzeptionen, deren Formulierung auf mathematischen Gesetzmäßigkeiten oder Theoremen beruht. Die Frage für den Ausführenden ist nun, wie sich entsprechende Gebilde interpretatorisch formen lassen, um den Unterschied etwa zu einer hypothetischen computergenerierten Wiedergabe der entstehenden Klangfolgen zu betonen. Entsprechendes gilt auch für die Akkordfortschreitungen von Johnsons 1985 entstandenem Chord Catalogue: Denn obgleich die hinter ihnen stehenden statistischen Mechanismen – die Lo­gik des Entfaltens aller möglichen simultanen Tonkombinationen im eng begrenzten Raum eines Oktavintervalls bei gleich bleibender Aktionsdichte des Interpreten – einen unverkennbaren Reiz haben, birgt doch der Verlauf des Hörereignisses in seiner Gänze keine Überraschungen.
Was die vorliegende Einspielung zu einer Besonderheit macht, ist der Umstand, dass sich der Pianist Samuel Vriezen im Höchsttempo an der rigiden, ohne Raum für Abweichungen entworfenen Aufgabenstellung abarbeitet. Unter seinen Händen werden Johnsons einfache Vorgaben zu einem Stück atemberaubend virtuoser Klaviermusik: Die maschinenhafte Strenge, mit der Vriezen die Abfolge von insgesamt 8178 Zusammenklängen vom Zweitonintervall bis zum 13-tönigen Cluster mehr als doppelt so rasch bewältigt, wie dies Johnson in seiner eigenen Aufnahme aus dem Jahr 1999 getan hat, stellt aufgrund der außergewöhnlichen Kontrolle nicht nur eine enorme körperliche Leistung dar, sondern vermittelt zugleich eine eigenartige ästhetische Faszination. Dass dies letzten Endes nicht ganz an die Intensität einer auch über den visuellen Aspekt wirkenden Domestizierung des Körperlichen im Kontext einer Live-Aufführung heranreichen kann, liegt in der Natur der Sache, ändert aber nichts an der Dichte der pianistischen Wiedergabe.
Dass die CD nicht bei diesem Eindruck verweilt, verdankt sich ih­rem zweiten, stark kontrastierenden Teil, denn hier spinnt Vriezen in seinen eigenen Stücken Within Fourths und Within Fifths Johnsons Aufgabenstellung im Rahmen von Quart- und Quintintervallen weiter fort. Dabei stellt er dem Chord Catalogue zugleich ein klanglich entgegengesetztes Konzept gegenüber, indem er die Rigorosität des Ablaufs mit einer hochgradig lyrisch erscheinenden Abtastung von Akkordprogressionen koppelt. Der Pianist agiert hier mit zartem, weichem Anschlag und konfrontiert die unnachgiebig regelmäßige Repetitionshaltung des Chord Catalogue mit einem gemächlichen, harmonisch ausgreifenden Schreiten, das wiederholt von Pausen durchsetzt ist. Gerade der immense Kontrast zum Vorangegangenen macht die eigentliche Wirkung und den großen Reiz dieser erstaunlichen, via Crowd Funding finanzierten Produktion aus.

Stefan Drees