Birtwistle, Harrison
The Minotaur
Blutorgien im Labyrinth: «The Minotaur» von Harrison Birtwistle
Unheilschwangere Bilder und eine düstere, wilde Musik, die bis in animalische Dimensionen vorstößt: Der Zweiakter The Minotaur von Harrison Birtwistle in der Produktion des Royal Opera House von 2008 steigt tief in die psychologischen Abgründe des Mythos hinab und zeigt das im Labyrinth eingesperrte Ungeheuer als tragisches Zwitterwesen. In den blutrünstigen Gewaltorgien mit seinen Opfern wird es zum monströsen, unartikulierte Laute ausstoßenden Triebtäter, im Traum und im Moment des Todes gewinnt es Sprachfähigkeit und zeigt menschliche Empfindungen. John Tomlinson bringt beide Seiten dieser extrem schwierigen Rolle mit gleicher Intensität zur Darstellung. Auch Theseus, der Mörder des Monsters, und Ariadne, Wächterin des Labyrinths wider Willen, sind scharf gezeichnete Figuren.
Werk und Aufführung sind in enger Zusammenarbeit zwischen Birtwistle, dem Librettisten David Harsent und dem Inszenierungsteam entstanden, was den geschlossenen und überaus packenden Gesamteindruck erklärt, den das Werk auch am Bildschirm hinterlässt. Was man zu sehen und zu hören bekommt, ist eine mit heutigen Mitteln gestaltete griechische Tragödie.
Die Musik des 76-jährigen Komponisten ist bekanntlich alles andere leicht verdaulich; dicht ineinander verknäuelte Instrumentalstimmen und Schichtenüberlagerungen machen aus seinen Partituren oft anstrengende Hörerlebnisse. Doch in Verbindung mit der Szene wirken hier seine sonst so sperrigen Texturen plötzlich ungemein bildhaft, wenn nicht sogar affektsteigernd. Das Orchester unter Antonio Pappano lädt sie mit dramatischer Intensität auf, ohne je dick aufzutragen.
Max Nyffeler