Ekimovsky, Viktor

The Mirror of Avicenna

Verlag/Label: Wergo WER 67292
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/02 , Seite 89

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Der russische Komponist und Präsident der Gesellschaft für zeitgenössische Musik hat sich für jede seiner Arbeiten Einzigartigkeit auf die Fahnen geschrieben und komponiert nach der Maxime, dass jedes Werk eine neue, andere, eigene kompositorische Strategie und Problemstellung verfolgen soll. Ein hehrer, wenn auch geradezu unlösbarer Vorsatz, will man nicht totaler Beliebigkeit verfallen, und so ist es mit Ekimovskys Konzept künstlerischer Einmaligkeit letztlich auch nicht allzu weit her.
Konstant hingegen ist ein relativ eigenwilliger Minimalismus der Organisation zu beobachten, der auf einer widerborstigen Verschachtelung repetitiver Gesten beruht. Der kann aus­gedünnt und asketisch daherkommen oder als polyrhythmisch verdichtete Klangorgie in Erscheinung treten. Ekimovskys häufig von literarischen Sujets gespeiste Klangsprache ist dabei – eine geradezu russische Tradition – von ausgeprägt existenziell gefärbter Expressivität durchdrungen, was hier bisweilen apokalyptische Ausmaße annimmt.
Die «Sinfonischen Tänze» für Klavier und Orchester (1993) gehen in dieser Hinsicht gleich in die Vollen. Was sich im Titel als neoklassizistische Biederkeit tarnt, entpuppt sich in realiter wie ein Hohn auf betuliche Anverwandlungen traditioneller Tanzcharaktere: eine düstere Kakofonie kleinzelliger Wiederholungsmuster, wo das Klavier als personifiziertes Individuum es kaum einmal schafft, sich aus der taumelnden Masse herauszuwinden. Diese Prinzipien erreichen in «Atalea Princeps» (2000) ein kaum steigerbares Extrem. Das Konzert für Violine und Orchester ist ein Dauer-Lärm aus gnadenlos durchgehämmerten Rhythmen, die einen riesigen orchestralen Wachstumsprozess begleiten, martialischer kann ein Orchesterklang kaum sein. Mit trotzigen Schraffuren kämpft sich die Violine durch ein Gewühl, das die Verlorenheit des Einzelnen im Weltgetriebe (im übrigen durch die gleichnamige Erzählung von Wsewolod Garschin inspiriert) mehr als greifbar verkörpert.
Weniger erwähnenswert erscheinen die beiden Stücke für Perkussionsensemble «The Assumption of the Blessed Virgin» (1989) und «27 Destructions» (1995), die ihr bescheidenes Material doch sehr additiv aneinanderkleben. Während die «Himmelfahrt» sich mit der Einfachheit und kindlichen Unschuld eines Glockenspiels lapidar im Kreis dreht, muten die rhythmischen Repetitionsmuster der «Zerstörungen» an als sollte in diesen 27, manchmal nur Sekunden andauernden Ostinati mit kraftvoller Simplizität ein archaischer Ritus der Vergänglichkeit betrieben werden (was einmal als Teil eines Zyklus über die Symphonie fantastique gedacht war). Über Ekimovskys Orchester-Exzesse hätte sich Hector Berlioz aber sicher mehr gefreut …

Dirk Wieschollek