Friedrich, Burkhard

the musicbox-project completed

Verlag/Label: www.burkhard-friedrich.com
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/05 , Seite 91

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 2
Booklet: 0
Gesamtwertung: 3

Mach kaputt, was dich kaputtmacht! Statt die endlose Softmusic-Berieselung öffentlicher, insbesondere kommerzieller Räume durch die US-amerikanische Holding «Muzak» schlicht zu erdulden, nimmt es Burkhard Fried­rich schöpferisch mit ihr auf. Seit 2006 arbeitete der Komponist und Saxofonist – Gründungsmitglied des ensemble Intégrales – an einem elektroakustischen musicbox-project, das auf vier Teile anwuchs und sich 2009 zum musicbox-final project rundete. Darin bedient er sich wesentlich der Mittel, denen die sanfte Pandemie ihre globale Herrschaft verdankt: Wiederholungsschleifen, synthetische Klangatmosphäre, rhythmische Raster. Doch leitet er sie in fremde Gefilde, wo sie auf Widerstand stoßen. Parallelschichtungen aus live erklingender und vorproduzierter Musik verunsichern das Ohr. Die gewohnten Wahrnehmungsgeländer verschwinden. Der Hörer gerät in eine terra incognita. Eigener Kompass und Orientierungssinn sind gefordert.
Wie das seichte Geriesel in Loun­ges, Warenhäusern und Supermärkten kennen auch Friedrichs Klang­­gebilde weder eindeutige Anfänge noch klare Schlüsse. Sie kommen aus dem Irgendwo, verbleiben im Immerdar oder verfügen sich ins Nirgendwo. Unaufhaltsam treiben sie im Meer von Raum und Zeit wie das Öl im Golf von Mexiko.
Materialbasis des Zyklus sind Schichtungen immergleicher mikrotonaler Geigen-Patterns, die – beständig gegeneinander verschoben – immer neue Zusammenhänge entstehen lassen. Wobei sich der Komponist der rhythmischen Muster und Klangschich­tungen auch am Keyboard variierend annimmt. Alles live Hervorgebrachte tönt auch aus den Lautsprecherboxen – teils zugleich, teils zeitversetzt.
Loops und Delays verschaffen einem Großteil der gespielten Abschnitte eine akustische Allgegenwart. Die Musiker kommen auf die Bühne, nachdem die Musik begann, und verlassen die Szene, bevor sie in sich selbst kreisend entdämmert – ein quasi musiktheatralischer Vorgang, den eine Klangaufzeichnung natürlich nur bedingt wiedergibt. Neben der Ambient Music in Fitness-Centern und Kaufhäusern inspirierten den Komponisten auch Pfadfinder der Pop-Avantgarde und Grenzgänger zwischen U und E wie Edgard Varèse oder Frank Zappa. Vor allem aber die beteiligten Musikerinnen des musicbox-project: die Geigerin Barbara Lüneburg und die Pianistin Ninon Gloger.

Lutz Lesle