Sallinen, Aulis

The Red Line

Verlag/Label: Ondine ODV 4008
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/01 , Seite 82

Der Mensch, der in der Einsamkeit der Natur um sein Überleben kämpft und dabei auch einen existenziellen Kampf um Gut und Böse ausficht, ist im zeitgenössischen Musiktheater Finnlands ein wiederkehrendes Thema. Schon Joonas Kokkonen brachte es in seiner 1975 in Helsinki uraufgeführten Oper Die letzten Versuchungen auf unverwechselbare Weise auf die Bühne. Sein Schüler Aulis Sallinen setzte mit dem 1978 uraufgeführten Zweiakter Der rote Strich (Punainen viiva) diese Linie fort. Das Werk beruht auf dem gleichnamigen Roman von Ilmari Kianto aus dem Jahr 1909 und gibt einen Einblick in das Arme-Leute-Milieu der damaligen Landbewohner. Im Zentrum steht eine Pächterfamilie am Rande ihrer Existenz, die im Spannungsfeld zwischen Glaubensstrenge und modernen Einflüssen – den Heilsversprechen sozialer Demagogen – materiell untergeht und auch innerlich zerbricht. Die Neuinszenierung des eindrucksvollen Werks an der Finnischen Nationaloper liegt nun in einer technisch makellosen Aufnahme vom Mai 2008 auf DVD vor. Sallinens wandlungsfähige Musiksprache unterstützt die Handlung mit kraftvoller, aber nie aufdringlicher Expressivität und färbt sie mit einem dunklen Tonfall ein. Die Inszenierung fügt die dialogreiche Bilderfolge zu einer kompakten Großform. Ihre dem Stoff angemessene, realistische Erzählweise erweitert sie nur durch Einbeziehung einer Tanztruppe, die einzelne Szenen auf einer wortlosen Ebene kommentiert. In ihrer Haltung unterstreicht die Inszenierung die atmosphärische Grundtendenz des ganzen Werks, in dem sich Mitleid und Härte zu einer düsteren Melange verbinden. Dass das Pächterehepaar auch im existenziellen Scheitern seine menschliche Würde behält, ist der einzige Lichtblick im schicksalshaft-tragischen Geschehen.

Max Nyffeler