Gál, Hans

The Two Violin Sonatas / Suite for Violin and Piano

Verlag/Label: Avie Records AV 2182
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 87

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

Den Komponisten Hans Gál kennt die Nachwelt eher in seiner Rolle als Autor, der Monografien über Schubert, Brahms und Verdi verfasste. Als schöpferischer Musiker spielt Gál im heutigen Musikbetrieb dagegen kaum eine Rolle, obwohl seine um 1920 entstandenen Opern wie Die heilige Ente zu ihrer Zeit im gesamten deutschsprachigen Raum gespielt wurden.
Der 1890 Geborene und in Wien Aufgewachsene gehörte zu jenen Künstlern, deren Karriere durch die Nationalsozialisten zerstört wurde. Gál hatte 1929 die Direktorenstelle am Mainzer Konservatorium angetreten, wurde aber 1933 nach der Machtübernahme der Nazis abgesetzt. Seine Rückkehr nach Wien blieb ein Intermezzo, denn nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich musste er abermals emigrieren. Diesmal war Großbritannien das Ziel, wo er sich zwar gewisse Achtung im Musikleben erwarb, aber als Komponist trotz schöpferischer Tätigkeit bis ins hohe Alter nur mehr begrenzte Anerkennung fand.
Mit allen Fasern wurzelt die Mu­sik Hans Gáls in der Wiener Tradition des 19. Jahrhunderts. Dass er Schüler des Brahms-Vertrauten Eusebius Man­dyczewski war und sich später an der Brahms-Gesamtausgabe beteiligte, hat in seinem Œuvre Spuren hinterlassen. Trotz zeitlicher und örtlicher Nähe hat die Zweite Wiener Schule um Arnold Schönberg Gál dagegen offenbar nicht zur kreativen Auseinandersetzung angeregt. Dies zeigt auch die vorliegende Einspielung seiner Hauptwerke für Violine und Klavier, in denen die Tonalität allenfalls einmal durch überraschende harmonische Aus­flüge leicht geweitet wird.
Mit pathetischem Ton beginnt die großräumig angelegte, klanglich expansive b-Moll-Sonate op. 17 von 1920, welche dem Kopfsatz ein abgründiges «Scherzo» folgen lässt und eigenwillig mit einem «Adagio»-Satz schließt. Die zu Lebzeiten unveröffentlicht gebliebene, 1933 im Wiener Exil entstandene D-Dur-Sonate wirkt im Vergleich dazu weit introvertierter und setzt mehr auf Klarheit in Linienführung und Satzstruktur. Aber der Hörer erlebt auch Überraschungen: das zentrale «Scher­zo» enthält einige aggressive Passagen, wie man sie eher bei Prokofjew oder Schostakowitsch erwarten würde. Die mehr retrospektive Suite op. 56 würde man dagegen, wäre Gál sonst nicht so unbeeinflusst von Zeitströmungen, dem Neoklassizismus zuordnen, so leicht beschwingt und durchsichtig geben sich hier «Preambulo» und «Ca­priccio», während die «Aria» mit gemessenem, doch von Wärme erfülltem Gesang aufwartet und sich Violine und Klavier im Final-Rondo munter die motivischen Bälle zuwerfen dürfen.
All diese Werke sind satztechnisch meisterlich und wirkungskräftig gestaltet, sparen nicht mit Ausdruckswillen und erschließen sich dem Hö­rer unmittelbar, ohne jemals in anbiedernde Simplizität zu verfallen. Dass diese effektvolle Musik ihren Weg ins Repertoire der Geiger erst finden muss, erstaunt. Vielleicht ändert sich das durch die hier dokumentierte Einspielung der Geigerin Annette-Barbara Vogel und des Pianisten Juhani Lagerspetz, die sich beherzt, beredt und beseelt für Hans Gáls Werke einsetzen.

Gerhard Dietel