Cage, John

The Works for Organ

(= The Complete John Cage Edition Volume 47)

Verlag/Label: mode records, mode 253/4 (2 CDs)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/06 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Auch Nicht-Musikinteressierte können mit dem Namen John Cage et­was anfangen, seit in der Halberstädter Burchardikirche im Jahre 2001 ein spektakuläres Projekt begann: eine Aufführung von Cages Organ²/ ASLSP, die unter extremer Zeitstreckung der vom Komponisten notierten Töne 639 Jahre dauern soll.
Man mag das Halberstädter Spektakulum beurteilen wie man will: Immerhin hat es darauf aufmerksam gemacht, dass das Œuvre von John Cage auch einige Orgelkompositionen enthält, obwohl der Komponist dem Instrument fernstand. Entstanden sind sie stets auf Anregung von außen: So war es im Falle des eben angesprochenen Organ²/ASLSP der gerne im Bereich der Neuen Musik experimentierende Organist Gerd Zacher, welcher den Komponisten dazu brachte, sein 1985 entstandenes Klavierwerk ASLSP für Orgel neu zu bearbeiten.
Die vorliegende CD-Einspielung erlaubt den reizvollen Vergleich der zwei Werkfassungen, die am selben Instrument, der Grönlund-Orgel in der Nederlulea-Kirche im nordschwedischen Gammelstad, durch den US-amerikanischen, heute in Schweden wirkenden Organisten Gary Verkade eingespielt wurden. Mit einer Zeitdauer von 23 Minuten begnügt Verkade sich bei seiner Interpretation des originalen ASLSP (der Titel kann zugleich als Huldigung an James Joyces Finnegans Wake gelesen werden wie auch als Abkürzung von «as slow as possible»); circa 33 Minuten braucht bei ihm die
spätere, erweiterte Orgelversion. In beiden erlebt der Hörer eine ruhige Entfaltung einzelner Klänge im Wechsel unterschiedlicher Lagen und Dichten, extreme Registrierungen, geräuschhafte Effekte und Spiele mit dem Winddruck der Orgel eingeschlossen.
Ebenfalls auf Initiative Gerd Zachers komponierte Cage im Jahre 1978 sein Orgelwerk Some of «The Harmony of Maine», wobei er Hymnenmelodien aus der im Titel genannten Sammlung des US-amerikanischen Komponisten Supply Belcher (1751–1836) als Ausgangsmaterial benutzte. Forciertes Neutönertum kann man diesem Stück nicht vorwerfen. Seine Musik kommt streng und asketisch daher, als endloses Klangband, das sich ganz gelassen entfaltet, eine große Monodie mit teils leicht überlappenden oder akkordisch verbreiternden Tönen. Cages Vorliebe für Zufallsoperationen äußert sich hier in einer komplexen Folge von Registerwechseln, die in der vorliegenden Einspielung mit sechs Registranten realisiert werden. Im klanglichen Resultat wirkt die Musik statuarisch, manchmal an mittelalterliche Organa erinnernd, und lässt den Zuhörer, der Cages Musik intensiv lauscht, in einen tranceartigen Zustand verfallen.
Ergänzt wird die Einspielung durch das kürzere Souvenir, in dem Cage auf Bitten des Uraufführungs-Organisten, wenn auch widerwillig, sein Klavierstück Dream von 1948 umarbeitete (und sich hinterher über das «ziemlich schlechte Stück» ärgerte): Neu sind die bewusst störenden Cluster, welche die sanft pendelnde Melodik des Originals immer wieder kratzbürstig unterbrechen.

Gerhard Dietel