Cage, John
The Works for Percussion 1
Imaginary Landscapes No. 1-5 / Credo in US, 2 versions
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 5
Auch wenn diese Veröffentlichung daran erinnert, dass John Cages künstlerische Entwicklung vor allem durch die Auseinandersetzung mit perkussiven Klängen (meist im Rahmen von «Ballett»-Musiken für freie Ensembles) forciert wurde, sind reine Schlagzeugstücke hier die Ausnahme. Schon Ende der 1930er Jahre setzte sich bei ihm die Überzeugung fest, dass prinzipiell alles zur Klangerzeugung benutzt werden kann. Insofern ruft diese Produktion der Percussion Group Cincinnati (43. Folge der Gesamteinspielung bei mode) nicht nur die Einführung von Radio und Plattenspieler in die abendländische Kunstmusik ins Gedächtnis, sondern auch die Geburt der elektroakustischen Musik in Amerika.
«Credo in US» kam da 1942 einem Glaubensbekenntnis gleich, verwendete das Stück im Rahmen einer satirischen Collage über die amerikanische Mittelschicht (im Übrigen der Beginn der Zusammenarbeit mit Merce Cunningham) neben Cage-typischem Gamelan-Geschepper und Prepared-Piano-Sound auch «Klassik-Schnipsel» von Platte eine durchgeknallte Stil-Mixtur, die Musik von Beethoven, Dvorák, Sibelius und Schostakowitsch ebenso beinhaltete wie Cowboy-Lieder, indianische Rhythmen und Jazz-Klischees.
Dass viele Stücke hier in zwei Versionen auftauchen, ist nur konsequent und unterstreicht die Tatsache, dass Cage schon früh die Verantwortung fürs Detail in die Hände der Ausführenden legte. Die zweite Version von «Credo» greift hier noch tiefer in die Plattenkiste, was stilistische Brüche zu Folge hat, die auf direktem Wege zu Frank Zappa und den «Mothers of Invention» zu führen scheinen. Auch die «Imaginary Landscape No. 5» (1952) Cages erste Tonband-Komposition – ist hier in zwei von prinzipiell unendlichen Darstellungsmöglichkeiten anwesend: das Stück für 42 frei wählbare Schallplatten erscheint zunächst als klingender Eintopf alter Jazz-Scheiben (in Analogie zu Cages erster eigener Realisierung), später als Remix über seinen «Urheber», wo «Arrangeur» Michael Barnhart ausschließlich Material von Cage selbst verwurstet.
Cages Liebe zum Radio manifestiert sich in Reinkultur in der «Imaginary Landscape No. 4» (1942), süffisant untertitelt als «March No. 2». 24 Spieler haben hier zwölf Radiogeräte zu bedienen: eine von Menschenhand gesteuerte Zufallsoperation, die zu ihrer Entstehungszeit sicher ein paar abgründige Farbtupfer mehr beinhaltet haben dürfte. In Cages «Imaginary Landscape No. 3» (1942) scheint der Zweite Weltkrieg jedenfalls auch instrumental Spuren in Gestalt explosiver Expressivität und dichter Lärm-Texturen hinterlassen zu haben.
Als einer der ersten elektroakustischen Konzeptionen in Übersee gebührt «Imaginary Landscape No. 1» (1939) besondere Aufmerksamkeit, das nach dem Willen seines Erfinders am besten als Radioübertragung in Erscheinung treten soll. Es spricht für die aufmerksame Herangehensweise der Musiker aus Cincinnati, dass sie für diese experimentelle Melange aus Elektronik und Instrumentalklang die original Testplatten mit den Frequenzen von damals auftrieben, um die historische Klangoberfläche möglichst authentisch wiederzugeben – Old School Ambient mit pfeifenden Glissandi und dröhnenden Pulsen.
Dirk Wieschollek