Cage, John

The works for Percussion 3

Composed Improvisation | Child of Tree | One4 | Branches

Verlag/Label: mode records, mode 272
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 77

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 3
Booklet: 3


Der New Yorker Schlagzeuger D’ Arcy Philip Gray stand in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in engem Kontakt zum Cage-Kreis, hatte regen Austausch mit David Tudor und wirkte als Musiker bei der Merce Cunningham Dance Company mit. Das Spannungsfeld von (offener) Komposition und (gelenkter) Improvisation, Notation und «open form» treibt auch dieses Soloprogramm mit Cage-Stücken an, die allesamt die Grenzen zwischen Komponist und Interpret verschwinden lassen. Dennoch betrachtet Gray seine Einspielungen zuvorderst als Realisierungen Cage’scher Konzeptionen, die sich für gewöhnlich auf dem schmalen Grat zwischen Freiheit und Willkür bewegen – als Letztere ist Cages «Absichtslosigkeit» häufig missverstanden worden.
Die Composed Improvisations (1990) entstanden zur Zeit der «Number Pieces» und gehören zu den weniger bekannten Konzeptionen Cages, wel­­che die Ambivalenz von Freiheit und intentionaler Gestaltung schon im Titel tragen. Es handelt sich um drei Stücke, die Cage für spezifische Instrumente konzipiert hatte, eines «für Steinberger Bassgitarre» (Nr. 1), eines für «kleine Trommel» (Nr. 2) und ein weiteres für «einseitig bespannte Trommeln mit oder ohne Schellen» (Nr. 3). Während Gray die Trommelstücke als ein brüchiges Gewebe perkussiver Einzelaktionen interpretiert (die vom Spieler im Vorfeld genau ausgewählt werden müssen), erscheint das E-Bass-Stück mit geräuschhafter Flächigkeit und changiert zwischen metallischen Schraffuren und irisierenden Klangbändern, rhythmische Akzentuierungen völlig vermeidend.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Experiment, alle Ein­zel­­stücke noch einmal übereinandergeschichtet ohne Rücksicht auf den spezifischen Zusammenklang aufzunehmen. Interessant vor allem deshalb, weil diese «Extra-Version» nicht wirklich funktioniert! Sie offenbart stattdessen wunderbar in ihren relativ spannungslosen Abläufen, dass die gelungene Wirkung eines Cage-Stückes eben ganz stark von der Eigenverantwortlichkeit und Sensibi­lität des Spielers abhängt und (zumeist) keiner beliebigen Assemblage von Klängen gleichkommt!
Einen ähnlich reduzierten, kontemplativen Ansatz wie die Realisierung der Composed Improvisations verfolgt auch die Gestaltung von One4 (1990). Unter intensivem Beckeneinsatz dominieren sphärische Klangflächen, gelegentlich zertrümmert von harten Einzelschlägen. Insgesamt ist eine fast bedrohlich-abgründige Atmosphäre vorherrschend, wo lange Pausen für gespannte Aufmerksamkeit sorgen.
Cages «Bio-Stücke» Child of Tree (1975) und Branches (1976), die ausschließlich auf verstärktem Pflanzenmaterial gespielt werden, hat man allerdings schon intensiver, charmanter, geheimnisvoller gehört, auch wenn das Zupfen der Kakteen auch hier seine Wirkung nicht verfehlt. Vor allem was Branches betrifft, ist man ruhigere, raumgreifendere, poetischere Darstellungen gewohnt …
Dirk Wieschollek