Cage, John

The Works for Piano 9

Sixteen Dances / Haiku

Verlag/Label: mode 259
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Kaum zu glauben, dass sich angesichts der Masse an Einspielungen von Cage’­scher Klaviermusik noch Novitäten finden lassen. Der neunten Folge der Klavier-Gesamteinspielung bei mode records ist dennoch das Kunststück gelungen, zwei Trouvaillen aus den frühen 1950er Jahren zu präsentieren, die von Don Gillespie und Walter Zimmermann ausgegraben wurden.
Im Falle von Haiku (1950/51) stimmt die Ersteinspielungsangabe jedoch nur bedingt. Das Bündel aphoristischer Miniaturen (kaum länger als eine halbe Minute), die vor den geläufigen Seven Haiku (1951/52) entstanden sind, hat Steffen Schleiermacher bereits 1999 im Zuge seiner Gesamtaufnahme bei MDG eingespielt! Ergänzt wird hier ein nicht nummerierter und datierter sechster Satz und eine verworfene Version des ersten Stücks. Die Rekonstruktionen aus diversen relativ aussagekräftigen Manuskript-Fragmenten, wo lediglich rhythmische Details im Unklaren blieben, klingen in ihrer Konzent­riertheit überzeugend und offenbaren erstaunliche Nähe zur frühen Atonalität der Schönberg-Schule. Ist es Zufall, dass beim fünften Haiku die Adresse Arnold Schönbergs in Los Angeles an den Manuskriptrand gekritzelt ist?
Die Sixteen Dances (1950/51) wa­ren bisher als Ensemblekomposition für eine Choreografie von Merce Cunningham ein Begriff, die sich die emotionalen Inhalte der indischen Rasa-Lehre einverleibte – eine stilistisch auffallend divergente Ballett-musik. 2010 entdeckte Walter Zimmermann eine Fassung für Klavier und stellte aus dem kaum leserlichen Manuskript eine neue Aufführungsversion her, die er um Artikulationen und Phrasierungen der Ensemble-Partitur ergänzte. Zimmermann faszinierte besonders, dass sich in den Sixteen Dances «die Welt der Abstraktion und die Welt eines konkreten emotionalen Ausdrucks begegnen. Das war bei Cage danach in so pointiertem Sinne nicht mehr der Fall.» Die Tänze zeigen Cage denn auch, unmittelbar vor seinem Abtauchen in die Willenlosigkeit der Music of Changes, als einen Komponisten, dem expressive und narrative Elemente alles andere als fremd waren, wenn
es der darstellerischen Sache diente. Sprunghafte Affekte und Lautmalereien werden dabei genauso wenig verschmäht wie Bezüge zu Blues und Jazz. Jovita Zähl spielt diese kontrastreiche Musik mit viel Gespür für ihre abrupt wechselnden Stimmungen, flüchtigen Gesten, aber auch hier, im Tanzkontext, überraschenden Einbrüche der Stille.
Zwei Extra-Versionen von Duet und Quartet für Klavier und Perkussion (Bali-Gongs und Tamtam) vermögen in ihrem vordergründig esoterischen Duktus allerdings weniger zu überzeugen.

Dirk Wieschollek