Towers of Sparks

Verlag/Label: Valeot Records, 12rec
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 91

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4

Tupolev ist der Name eines russischen Luft- und Raumfahrtunternehmens, das von dem Ingenieur Andrei Niko­lajewitsch Tupolew gegründet wurde, der auf dem Gebiet der Luftfahrt Pionierarbeit geleistet hat. Ob dieser osteuropäische Flugtechniker als Namens­patron der Wiener Band «Tupolev» fungiert, ist allerdings nicht bekannt. Zweifelsohne heben aber auch die vier österreichischen Instrumentalisten in den Himmel ab. Ihr Sound ist luftig, nahezu schwerelos. Elegant verweben sich Piano und Schlagzeug miteinander, umspielen sich virtuos, ergänzen sich gegenseitig, um im nächsten Augenblick das harmonische Gespräch abzubrechen, in einen hitzigen Disput aus ungeraden Rhythmen, seltsamen Melodiebögen und komplizierten Breaks zu treten. Dann verlieren sich Pianist Peter Holy und Drummer David Schweighart in Stop-and-Go-Arrangements, die von ihnen höchste Konzentration verlangen, um sie sauber zu spielen.
Alexandr Vatagin begleitet beide Instrumente mit Kontrabass oder Cello. Mal grundiert er die Stücke mit tiefen Tönen, setzt ein stabiles Fundament, dann spielt er lange, stehende Klänge und flirrende Glissandi, bringt die musikalische Architektur zum Schweben. Dazwischen platziert Lukas Scholler seine Elektronik; der Klangtüftler arbeitet mit monochromen Geräuschen, die so geschickt gebaut sind, das sie in den akustischen Arrangements kaum auffallen. Lediglich in der Komposition Tower of Sparks 1 darf er in einem längeren Zwischenspiel sein Handwerk ungestört demonstrieren, bis seichte Klaviertöne, gefolgt von Cello und Schlagzeug, ihn wieder verstummen lassen.
Angenehm sind die schönen Melodien, von denen das Quartett nicht zurückschreckt – kleine Miniaturen, die als Thema zu Beginn einer Komposition auftauchen, variiert werden und den Stücken eine nostalgische Atmosphäre geben, die bereits im Cover-Artwork zu spüren ist: Man sieht eine sepiafarbene Collage aus Farbklecksen und unscharfen Lichtkegeln, dahinter verbergen sich in einem See badende Menschen.
Für das Mastering des Albums zeichnet Martin Siewert verantwortlich. Der Gitarrist, der ein bekannter Protagonist der österreichi­schen ex­perimentellen Musikszene ist, gibt den Instrumenten einen klaren Klang, trennt sie präzise voneinander ab und vermeidet Unsauberkeiten. Das vermittelt der Musik eine angenehme
Direktheit; sie wirkt nachvollziehbar, obwohl sie komplexen Gesetzen unterliegt. Trotzdem klingt sie nüchtern und mathematisch. Und genau darin liegt ihr Problem. Alles wirkt pedantisch geplant, diszipliniert bis ins letz­te Detail auskomponiert. Das ist beeindruckend und zeugt von der Professionalität der Musiker. Allerdings hätte den Stücken ein wenig mehr Offenheit und Spontaneität gut getan.

Raphael Smarzoch