Transcriptions

Verlag/Label: Intuition INT 34382
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/05 , Seite 83

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

«Fuck you I won’t do what you tell me», schreit ein junger Sänger mit Rasta­locken und wutverzerrtem Gesicht ins Mikrofon, während Schlagzeuger, Bassgitarrist und E-Gitarrist unter vollem Körpereinsatz auf ihre Instrumente eindreschen. Der Pianist Kai Schumacher ist mit der Band «Rage Against the Machine» aufgewachsen, wie sie im
elterlichen Fernsehgerät Killing in the Name spielten. Während er bereits Klavierunterricht erhielt und im Alter von 15 Jahren Schostakowitschs zweites Klavierkonzert auf die Bühne brachte, galt seine Leidenschaft Punk, Trip-Hop, Grunge und verschiedenen Metal-Sub­genres: Bands wie «Megadeth», «Portishead», «Soundgarden» oder «Prodigy». Auf seiner zweiten CD-Einspielung bringt er beides miteinander in Verbindung, in­dem er die Songs seiner Heroen auf dem Konzertflügel einspielt.
Was aber bleibt von dieser Musik ohne Gesang, ohne die Vibrationen der Bassgitarre unter der Bauchdecke, ohne die verzerrten, sich überschlagenden elektrischen Gitarren und einen vorwärtstreibenden Schlagzeug-Beat?
Schumachers Transkriptionen übertragen nicht nur Töne und Akkorde auf die Klaviertasten. Um etwas von der Atmosphäre und Energie der Originale zu erhalten, greift er direkt in die Saiten, dämpft mit der rechten Hand die Bass-Töne ab, fügt in Uno von «Muse» die ätherischen hohen Töne eines Keyboards hinzu. Im selben Stück produziert er auf den Saiten im Inneren des Flügels Klangflächen, wie sie erstmals Henry Cowell dem Instrument entlockt hat. Zuweilen erreicht Schumacher eine rhythmische Dichte, die das Original noch übertrifft, wie nach langer Einleitung in Spiders von «System of a Down». Seasons in the Abyss von «Slayer» klingt dagegen geradezu harmlos nach romantischer Klaviermusik. Um etwas von der Pathetik der Originale zu bewahren, arbeitet Schumacher oft mit langen Spannungsbögen. Dies gelingt in Humming von «Portishead» recht gut. Häufig verdecken seine stupende Klaviertechnik, der Wechsel der Register und ein rhythmisch packender Vortrag jedoch kaum eine eher dürftige musikalische Substanz, die sich in häufigen Wiederholungen und vergleichsweise einfachen Akkordfolgen erschöpft.
Schumacher mag recht haben – schon romantische und klassische Komponisten bearbeiteten populäres Material. Aber die Songs der Metal- und Grunge-Bands erweisen sich ohne die rotzige Attitüde, das martialische Auftreten, die Texte, die Videobilder, die kreischenden Gitarren als wenig ergiebig, sodass der Pianist dann doch neben den ungewöhnlichen Klangeffekten das ganze Repertoire des klassischen Klaviervirtuosen auspacken muss: die Arpeggien und Läufe, die schnellen Akkord-Griffe.
Die finnische Band «Apokalyptica» hat 1996 begonnen, Songs der Metal-Band «Metallica» für Cello-Quartett zu arrangieren, ist inzwischen aber dazu übergegangen, selbst mit Schlagzeug wie eine Rockband aufzutreten. Demgegenüber bleibt Schumacher unentschieden: zwischen der Musik seiner Jugend und der Laufbahn des Konzertpianisten. Letztlich handelt es sich um eine Form von Travestie, die davon lebt, dass der Hörer die Rock-Originale kennt, die im klassischen Gewand nobilitiert erscheinen.

Dietrich Heißenbüttel