Cage, John

Two3

Verlag/Label: 2 CDs, Wergo WER 67582
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 78

Musikalische Wertung: 5

Technische Wertung: 5

Booklet: 5

 
Mit diversen Veröffentlichungen zu John Cage hat das Label Wergo in den vergangenen Jahren, dabei auf eine sehr heterogenen Interpretenauswahl vertrauend, einer ebenso vielfältigen wie ernsthaften, d. h. in die Tiefe gehenden Rezeption der Cage’schen Musik den Weg in die Öffentlichkeit geebnet. Jüngstes Beispiel ist – nach den fantastischen Produktionen mit der Pianistin Sabine Liebner aus den vergangenen Jahren – eine Aufnahme von Cages Two3. 
Ursprünglich 1990 für die Sho¯-Spielerin Mayumi Miyata unter zusätzlicher Benutzung von fünf mit Wasser gefüllten Muschelhörnern entstanden, profitiert das Stück in der vorliegenden Einspielung von der Möglichkeit einer Realisierung auf klanglich ähnlichen Instrumenten. Da dem Akkordeon und der Sheng (einer chinesischen Schwester der japanischen Mundorgel Sho¯) die Tonerzeugung mit durchschlagenden Metallzungen gemeinsam ist, fokussiert die Wiedergabe durch Stefan Hussong und Wu Wei zum Teil auf die enge klangliche Verwandtschaft beider Klangerzeuger. 
Gegliedert ist die Komposition in insgesamt zehn Sektionen von jeweils mindestens zehn Minuten Länge. Musikalisch vorherrschend ist darin die fließende Bewegung des Klangs: der – so Egbert Hiller im Booklet – «allmähliche Wandel eines an- und abschwellenden, von Phasen der Stille unterbrochenen Klangbandes, aus dem einzelne Signale wie Rufe in der Wüste oder geheime Zeichen des Einvernehmens herausragen». 
Zwar werden, wie von Cage vorgesehen, die einzelnen Nummern solistisch, also entweder von Sheng oder von Akkordeon vorgetragen; doch beherbergt die Doppel-CD darüber hinaus vier Tracks, in denen simultan zwei Versionen einzelner Stücke erklingen, wobei gerade hier die ho­hen Verschmelzungsgrade der Instrumentalklänge und ihrer Obertonspektren zur Geltung kommen. Doch auch in den Einzelnummern steht von Anfang die variative Entfaltung lang gehaltener Klänge im Mittelpunkt: von Klängen, deren oft nur unwesentlich differierende Klangfarben ineinander übergehen, zu Verdichtungen führen und auch wieder in Phasen der Stille münden. Das Resultat ist eine Art Schwerelosigkeit, die nur an einigen Stellen durch punktuelle, behutsam perkussiv eingesetzte Muschelklänge perforiert wird. Nicht zu Unrecht spricht Hiller im Booklet von einer «Philosophie in Tönen, die an existenzielle Dimensionen gemahnt und deren wellenförmiges Er- und Verklingen sich zum Sinnbild von Werden und Vergehen verdichtet». Und tatsächlich beginnt sich, wenn man sich auf das Klangergebnis einlässt, die Zeitwahrnehmung zu verändern: Das Hineinhören in die Prozesse, in die feinen, oftmals sehr plastisch anmutenden Übereinanderlagerungen von Klängen und Obertonstrukturen, wird zur Hauptsache, und der Atem beginnt sich beim Hören allmählich an die ruhigen Wellenbewegungen anzupassen. Hier wird Musik als genuine Zeitkunst vorgeführt – in einer klingenden Gestalt, die der sinnlichen Wahrnehmung unmittelbar zugänglich ist.
Stefan Drees