Rijnvos, Richard

Uptown/Downtown

An urban panorama in six movements

Verlag/Label: Challenge Classics, CC7253825
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 83

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Von der ersten Sekunde an ist völlig klar, woran man beim 1964 in Tilburg geborenen holländischen Komponisten Richard Rijnvos ist: mittendrin in der pulsierenden, hektischen, rastlosen Wirklichkeit der Metropole New York. Brachiale Klaviereruptionen wie von Morton Feldman hingehämmert, orchestraler Monumentalsound mit energischer Streicherszenerie und rigorosem Schlagwerk sezieren auf radikale Weise die Idee, man könne Megacitys wie New York zähmen und deren Soundnischen, die zweifellos vorhanden sind, zum Allgemeinplatz erklären. Richard Rijnvos taucht in die lärmgetränkte Realität des urbanen Lebens ein und verschafft der ständig vorhandenen Geräuschkulisse ein orchestral ausgerichtetes Ventil.
Großstadtkino existiert nicht ohne Großstadtmusik, bewegte Bilder glänzen erst in der Illustration mit kommentierender und gestaltender Musik. Besonders augenfällig erscheint die Symbiose aus Bild und Klang in den Filmen von Fritz Lang (Metropolis) und Walter Ruttmann (Berlin: Die Sinfonie der Großstadt). Der Zyklus Uptown/ Downtown, ein sechsteiliges Panorama aus urbanen «Soundsculptures» des Big Apple, gliederte Richard Rijnvos in zwei komplex gestaltete Triptychen. Das NYConcerto enthält drei Stücke für Piano und Kammerorchester, Manhattan Square Dances stellt drei öffentliche Plätze in Manhattan (Times Square, Washington Square, Union Square) als Tänze dar, die von zwei identischen Orchestern interpretiert werden. Das pulsierende Leben in der niemals schlafenden Stadt erlaubt kein Atemholen, kein Innehalten, weil jedes Stillstehen einen Schritt zurück bedeuten würde. Möglicherweise wählte Rijnvos aus ge­­nau diesem Grund das Stilmittel Tanz für seine musikalische Stadtplanbeschreibung, weil diese Körperbewegungen, «movements» im musikalischen Sinne, zumindest für Lebendigkeit, ja Fortschritt sprechen. Der Preis dieses Fortschritts ist die Radikalisierung der Begleitgeräusche der Umwelt. Die Ro­mantiker benutzten Baumwipfelrauschen und Vogelstimmen als zeitbegleitende Klangkulisse, die Modernisten berufen sich auf den Sound des technischen Fortschritts.
Richard Rijnvos schöpft seine Mu­sik aus nichtmusikalischen Quellen, in denen das Material für musikalische Kommentare wächst und gedeiht. Form, Entwicklung, Konzept, Entwurf, Struktur sind für ihn der Brunnen, aus dem seine bildproduzierenden und klangmächtigen Projekte entstehen. Durch die radikale Abstraktion seiner Großklangraumobjekte ist Rijnvos in der Lage, den Audiocharakter dieser Metropole als notwendigen, stets präsenten Lebensinhalt zu begreifen, ohne den diese riesige Stadt nicht existieren könnte. Seine klanggewaltigen Forschungsergebnisse in NYConcerto tangieren neben dem historischen Vorarbeiter Charles Ives (Central Park in the Dark) und dem musikalischen Großstadtklangforscher George Gershwin das auf den Broadway deutende Klangfarbengemisch des dritten Teils der Suite, «’cross Broadway». Hier schwebt der Geist des radikalen Klaviererneuerers Thelonious Monk durch die Komposition, die jazznahes Gedankengut aufgreift und dem Klang der Großstadt beimischt.

Klaus Hübner