Ut supra
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5
In lockerer Folge bieten die Porträt-CDs des hauseigenen Labels den Mitgliedern des Ensemble Modern eine (nebenbei erwähnenswert ansprechend gestaltete!) Plattform, um ihre solistischen Aktivitäten auszuleben. Hier darf Trompeter Valentin Garvie seine Eloquenz und Vielseitigkeit in einem handverlesenen Programm demonstrieren, das mit «Klassikern» des Trompetenrepertoires und interessanten Uraufführungen gleichermaßen aufwartet.
Dabei sind es häufig Duoformate, insbesondere Interaktionen zweier Trompeten (meist mit Sava Stoianov), die hier Aufmerksamkeit beanspruchen und bewusst mit den Reibungen und Interferenzen des Ähnlichen jenseits der ausgetretenen Pfade temperierter Stimmung spielen. Auf ganz wunderbare Weise bewerkstelligt dies Les illusions (2007) von Marcelo Perticone, dessen sprunghafte Tongebung eher dem Klarinettenklang nachempfunden ist und in dessen Schattenwirkungen delikate harmonische Mischungen aufblühen. Durchaus hörenswert auch die skulpturalen Klangkaskaden von Benedict Masons Two Piccolo Trumpets (2006) sowie dessen Two Cornetti (2007), ein Spiel mit den obertonreichen Farben von Zinken, das hier gelegentlich mehr nach Tibet als nach europäischem Mittelalter klingt.
Eine bemerkenswerte Komposition für Trompete solo und kleines Ensemble hat Eduardo Moguillansky geschrieben: Sein Limites (2005) ist als riesenhafte Augmentation konzipiert, die einen minimalen Klangbaustein immer weiter ausdifferenziert, bis das Ursprungsmaterial völlig ausgefranst erscheint. Zusammen mit Nina Janssen (Klarinette), Herrmann Kretzschmar (Klavier), Patrick Jüdt (Viola) und Eva Böcker (Violoncello) ist Garvie hier Teil einer organisch wuchernden Klangmikroskopie unter Leitung von Moguillansky, wo es vor allem auf die Schwebungen und Unreinheiten zwischen fixierten Tongebungen ankommt, wozu Garvie hier nicht selten zwei Instrumente gleichzeitig bedienen muss.
Weitaus weniger substanziell gibt sich das titelgebende Ut supra (1996) des uruguayischen Komponisten Leo Masliah, der Einflüsse aus Jazz, Minimal und lateinamerikanischer Musik zu etwas simplen melodischen Pattern verschmilzt, die nett und beschaulich vor sich hin grooven.
Neben Henzes rhythmisch agiler Sonatina von 1974, Garvies Lehrer Howard Sell gewidmet, ist es besonders Paul Hindemiths Sonate für Trompete und Klavier (1939), die in dieser vielgestaltigen Kompilation unter dem Deckmantel der Tradition ungeahnte Kräfte entwickelt. Das liegt vor allem daran, dass die kraftvoll zupackende Interpretation von Valentin Garvie und Ueli Wiget (Klavier) dem vermeintlich harmlosen Neoklassizismus des sinfonisch ausholenden Dreisätzers reichlich abgründige Töne abgewinnt.
Dirk Wieschollek