Cage, John

Variations V

Videoaufzeichnung 1966, NDR Hamburg; Audioaufzeichnung 1966, Paris; Gespräche mit Tänzern der Uraufführung

Verlag/Label: Mode Records mode 258 | 157 min.
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 81

Ein Leckerbissen für Cage-Nostalgiker: Das Label Mode Records hat seinem umfangreichen Cage-Katalog eine neue DVD hinzugefügt, die ganz den «Variations V» gewidmet ist. Die 1965 in New York uraufgeführte Komposition, entstanden für die Merce Cunningham Dance Company, weitet die für die «Variations»-Reihe charakteris­tische Methode der Unbestimmtheit auf die damals üblichen audiovisuellen Technologien aus – selbstverständlich noch alles analog. Bei der Uraufführung lösten die Tänzer mit ihren Bewegungen über antennenähnliche Sensoren Signale aus, die wiederum die Übertragung von Geräuschen aus Tonbändern und Radios in Gang setzten. Deren Aussteuerung über sechs Lautsprecherkanäle überwachten John Cage, David Tudor, James Tenney, Malcolm Goldstein und Fredric Lieberman. Ein Film mit einer Collage von Fernsehbildern (Nam June Paik) und Probenaufnahmen der Cunningham-Truppe (Stan VanDerBeek) ergänzte das audiovisuelle Spektakel.
Die rund dreiviertelstündige Filmaufzeichnung von «Variations V», die nun erstmals auf DVD zu sehen ist, stammt aber nicht aus New York, sondern aus dem Fernsehstudio des NDR, wo das Stück ein Jahr später in ähnlicher Aufmachung produziert wurde. Zu den Musikern gehörte hier auch Gordon Mumma. Zur Überlagerung von Dauergeräuschen und Geräuschklängen sieht man die Tänzer ihre Bewegungen und Gänge um die Antennen herum machen, die wie Slalomstangen auf der Bühnenfläche verteilt sind. Requisiten vom Gummibaum bis zum Fahrrad ergänzen die Szenerie. Das für das Stück bestimmende Überlagerungsprinzip wird hier noch erweitert, indem dem Bühnengeschehen auch Bilder des Aussteuerungsteams überblendet werden: konzentrierte technische Arbeiter vor einer ganzen Batterie von Analoggeräten und einem Drahtverhau von Verbindungskabeln. Eingeleitet wird die Aufzeichnung durch die Erläuterungen von Hansjörg Pauli, dem damaligen Musikredakteur des NDR-Fernsehens, der in gespielter Nachrichtensprecher-Manier seinen Text vom Blatt abliest. Man wollte ja seriös wirken. Ein Dokument aus der guten alten Zeit des Fernsehens, in der alles noch ein wenig steif vonstatten ging, die ARD-Sender aber noch keine Angst vor Experimenten hatten.
Ergänzt wird diese Schwarzweiß-Produktion durch zwei Gespräche mit Mitgliedern der Cunningham Dance Company, die an der Aufführung beteiligt waren, sowie durch eine reine Audioaufzeichnung der Aufführung aus Paris von 1966. Letztere bietet einen begrenzten Genuss und eignet sich allenfalls noch zu Dokumentationszwecken. Die endlosen Geräuschbänder wirken ohne das Bild ermüdend, wenn nicht aufreibend. So muss es sein, wenn man direkt an der Autobahn wohnt und das Fenster nicht schließen kann.

Max Nyffeler