Hindemith, Paul

Violin Sonatas

Verlag/Label: Brilliant Classics 94641
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/04 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

«Of course I know Hindemith, he’s that famous 20th-century composer. But isn’t his music a bit dry?» – «It is difficult music to listen to» – «It’s very mathematical music» – «You have to be in the mood for it» … Derlei Äußerungen überdrüssig und weil Vorurteile meist auf Unkenntnis beruhen, nahmen der junge belgische Geiger Eliot Lawson und seine Schwester, die Pianistin Jill Law­son, Paul Hindemiths Sonatenwerk für Violine und Klavier in ihr Konzertrepertoire auf, um es im 50. Todesjahr des Meisters auch auf CD zu dokumentieren.
Hindemith, selbst Geiger und vor allem Bratscher von Gnaden, komponierte seine vier Violinsonaten mit Klavier paarweise in rund zwanzigjährigem Abstand. Die ersten beiden, 1918/19 entstanden, gingen in den frühen Sonatenzyklus op. 11 ein. Während sich dieses Sonatenpaar noch zu den Tonarten Es-Dur bzw. D-Dur bekennt (wiewohl deren 1. und 2. Satz eher d-Moll zuneigen), geben die beiden Gattungsgeschwister aus den Jahren 1935 und 1939 durch den Titelzusatz «in E» bzw. «in C» zu erkennen, dass sie die Dualität des Tongeschlechts einebnen.
Im spiegelsymmetrisch geformten Kopfsatz der ersten Sonate aus op. 11, die Hindemith 1919 in Frankfurt selber uraufführte, stellen Eliot Lawson und seine famose «Klavierschwester» das tänzerische Element anmutsvoll heraus, ohne dass die zarte impressionistische Tönung ins Hintertreffen gerät. Berührend der trauermarschartige Gegen-Satz mit gedämpfter Violine.
Größere Ausmaße besitzt die zwei­te Violinsonate aus Opus 11, die Erinnerungen an Max Regers späte
c-Moll-Violinsonate op. 139 (1915) weckt. «Mit starrem Trotz» vorwärtsdrängend kehrt das Duo im Kopfsatz den thematischen Kontrast hervor, wobei der Seitengedanke die Angriffslust des ersten mildert. Der ruhige, mollgetönte Mittelsatz atmet Gelassenheit, während das dreiteilige Finale «im Zeitmaß und Charakter eines geschwinden Tanzes» barocke Tanzgeister weckt und entsprechend in Form bringt.
Hindemiths nach 1935 komponierte Sonaten für Streich- und Blasinstrumente wenden sich nicht an den konzertierenden Virtuosen. Sie haben den Amateur im Sinn, dienen dem «praktischen Gebrauch» in Haus, Schule und Gemeinschaft. Schlichte, liedhafte Melodik und klare Formgebung prägen den ersten Satz der Sonate für Violine und Klavier in E. Der zweite lebt vom Bewegungs- und Charaktergegensatz langsam–schnell (Air–Tarantella). Die Sonate für Violine und Klavier in C – 1939 in der Schweiz entstanden, bevor Hindemith 1940 in die USA emigrierte – hat hingegen wieder drei Sätze, jeder etwa doppelt so lang wie der vorangehende. Dem knappen, lebhaften Kopfsatz über ein Dreiklangsmotiv folgt ein langsamer Satz mit eingeblendetem, rhythmisch raffiniertem Scherzo im 5/8-Takt. Ein Glanzstück altmeisterlicher Satzkunst in neuem Klanggewand ist die finale Tripelfuge in Rondoform.
Das Recital der Geschwister sprüht vor Musizierlust, ist technisch brillant und musikalisch intelligent. Wer Hindemith jetzt noch trocken, schwierig oder mathematisch findet – dem ist nicht zu helfen.

Lutz Lesle