Schulhoff, Erwin
Violin Sonatas
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4
Erwin Schulhoff war neugierig, mutig, nonkonformistisch. Seine künstlerische Maxime glich mit ihrer revolutionären Grundierung einem kulturpolitischen Manifest: «Die Kunst an sich ist der Ausdruck gesteigerter menschlicher Sehnsucht, das Kunstwerk als solches die Explosion eines gesteigerten Empfindens. Absolute Kunst ist Revolution.»
Schulhoff sollte sich mit dieser Gesinnung virtuos zwischen den stilistischen Stühlen bewegen und dabei einen sehr eigenen Ton finden. So experimentierte er zwar mit Elementen des Impressionismus, Expressionismus und Neoklassizismus, verstand es aber, klug alle Ismen zu umgehen. In den 1920er Jahren setzte sich Schulhoff, der bei Robert Teichmüller Klavier und bei Max Reger Komposition studiert hatte, vehement für die Vertreter der Zweiten Wiener Schule ein. Davor lag seine eher grimmig-verzweifelte Dada-Phase. Denn wie viele seiner Generation war Schulhoff, (Jahrgang 1894), bis ins Mark von den Gräueln des Ersten Weltkriegs erschüttert und misstraute fortan der Idee von der schönen Kunst als Spiegel der Gesellschaft. Auch deshalb wagte er es als einer der Ersten, den Jazz in die Kunstmusik zu holen, zwecks spitztöniger Karikatur.
Jetzt haben die Geigerin Tanja Becker-Bender und der Pianist Markus Becker eine CD mit kammermusikalischen Werken Schulhoffs vorgelegt, in denen viele Facetten des Vielgestaltigen aufscheinen. Diese Einspielung ist aber nicht nur ihrer technischen Brillanz wegen als ein weiterer gewichtiger Beitrag zur Wiederentdeckung dieses Komponisten zu begreifen, der 1942 in einem nationalsozialistischen Internierungslager in Würzburg starb.
In der 1911 gefertigten Suite für Violine und Klavier op. 1 hört man deshalb, wie raffiniert hier auf der Folie von barocken Tänzen, aber auch einem Walzer mit impressionistischen Klangkonstellationen im Stile eines Ravel jongliert wird. In gewisser Weise tänzerisch bewegt ist auch die erste Sonate für Violine und Klavier op. 7 aus dem Jahr 1913. Doch die Art und Weise, in der Schulhoff hier die melodischen Linien führt und harmonische Wendepunkte ansteuert, lässt erkennen, dass er zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Ohr bei Debussy, doch schon in den Gefilden der Expressionisten stöbert.
Dass es Schulhoff nach den Stürmen seiner Dada-Phase nach festem Boden unter den Füßen verlangte, lässt sich zunächst an der Soloviolinsonate aus dem Jahr 1927 ablesen. Schulhoff verknüpfte hier folkloristische Elemente ähnlich wie Bartók mit einer schlichten, schier ins Abstrakte drängenden Linienführung. Die Struktur sollte bloß liegen, ohne die schützende Hülle der Klangfarbe. Dieses Prinzip übertrug Schulhoff im selben Jahr noch auf die zweite Sonate für Violine und Klavier. Und auch hier scheint Bartóks Idiom als Allusion auf. Im zweiten Satz improvisierte Schulhoff darüber hinaus über den Blues aus Ravels Violinsonate, gab diesem eigentlich lasziven Stück jedoch eine tiefschwarz-melancholische, ja morbid-expressionistische Aura. Schulhoff war, wie hier eindrücklich vor Ohren geführt wird, einer, der wie nur wenige Musik über Musik zu schreiben verstand.
Annette Eckerle