Zender, Hans

Waches Hören

Über Musik, hg. von Jörn Peter Hiekel

Verlag/Label: Carl Hanser, München 2014
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/03 , Seite 86

Jener «helle, gleichsam wache Grundklang», den Gerhard R. Koch in der Musik von Hans Zender vernimmt, ist auch das Wasserzeichen der hier vorgestellten 14 Texte, die damit das eindrucksvolle Zusammenspiel des Denkens und der Töne in Zenders vielstimmigem Schaffen unterstreichen. Symbiotisch wie sein Denken in und über Musik sind auch die vielstimmigen Kompetenzen Zenders miteinander verbunden, mit denen der Dirigent und Komponist, der Lehrer und Musikschriftsteller den ganzen Kosmos der Musik belauscht, befragt, erforscht und dem «inneren Ohr» (Robert Schumann) des Hörers zugänglich macht. Wie Schumann scheint Zender «von Allem afficirt, was in der Welt geschieht», und auch er weiß in seiner Musik wie in seinen theoretischen, analytischen und essayistischen Arbeiten von fremden Ländern und Menschen zu erzählen.
Den Leser erwarten 13 Essays und ein Briefwechsel zwischen dem Komponisten und dem Philosophen Albrecht Wellmer. Jeder dieser Texte liest sich wie eine Aufforderung, den Titel des Buchs als Appell zu verstehen, also «Waches Hören» zu erproben. Das aber heißt für Zender, mit begriffsloser Wahrnehmung als einem Gegengift zur Falschnehmung von Kunst in unserer «Spektakelkultur» (Umberto Eco) der Musik als Ausdruck von Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen.
Mit den Worten, «dass Zender sich mit Vorliebe dort denkend bewegt, wo Musik im Ungreifbaren verschwindet», hat Alfred Brendel die im ersten Essay entfaltete Vorstellung vom Hören als eines schöpferischen Vorgangs ebenso erfasst wie Georg Pichts Diktum «Die Sinne denken», dem Zender sich zutiefst verpflichtet weiß und das er im 13. Essay als «Denken der Künste» weiterführt. Aus der enigmatischen Dichtung Hölderlins erschließen sich Zender neue Einsichten in das Miteinander von Klang und Sprache, während der vierte Essay das Verhältnis von Musik und Sprache thematisiert. Im Kontext von C. G. Jungs Psychoanalyse wird der Konstruktion der Zeit bei Anton Bruckner nachgespürt, im Rekurs auf die Zeitkunst des Zen sodann dem Wesen spiritueller Musik.
Wie der Musik Bruckners, so wendet sich Zender in deutender Annäherung auch der vielsprachigen Musik Bernd Alois Zimmermanns zu, die als «das Bild einer explodierenden Welt« erscheint und sich zugleich dem geschichtlichen Gedächtnis öffnet. In seinem Musiktheaterwerk Chief Joseph geht es «um die Unfähigkeit, sich mit fundamental andersartigen Lebensentwürfen produktiv auseinanderzusetzen», während zwei kritische, an die Knallchargen der aktuellen Kulturpolitik adressierte Essays die Bedrohung der Rundfunkorchester thematisieren und sich einer solchen «Bankrotterklärung des europäischen Geistes» entgegenstemmen.
Die beiden abschließenden Briefe, in denen der Komponist und der Philosoph ihren (vor allem terminologischen) Dissens elaborieren, sind gewissermaßen im hohen Ton gehalten. Es ist der ins Offene weisende Ausklang eines Buchs, dem viele wache Leser zu wünschen sind.
Peter Becker